Korruption  - © Foto: iStock/vladans (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Anti-Korruptionsexperte Kreutner: "Trennen, was zu trennen ist"

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Ein neuer Compliance-Bericht des Europarats stellt Österreich ein vernichtendes Zeugnis aus. Antikorruptionsexperte Martin Kreutner über Verhaberung, den aktuellen Streit zwischen Regierung und Justiz sowie einen weisungsfreien Bundesstaatsanwalt.

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Ein neuer Compliance-Bericht des Europarats stellt Österreich ein vernichtendes Zeugnis aus. Antikorruptionsexperte Martin Kreutner über Verhaberung, den aktuellen Streit zwischen Regierung und Justiz sowie einen weisungsfreien Bundesstaatsanwalt.

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Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Vorwürfe rund um „geleakte“ Akten, Ermittlungen gegen führende Politiker und ein suspendierter Sektionschef: Das Verhältnis zwischen Justiz und Regierung sorgt für Unmut. Dazu kommt der neue GRECO-Bericht des Europarats, demzufolge Österreich nur zwei von 19 überfälligen Anti-Korruptions-Empfehlungen umgesetzt hat. Wie ist das alles einzuordnen? Ein Gespräch mit Martin Kreutner, von 2001 bis 2010 Direktor des Büros für Interne Angelegenheiten, ehemaliger Dekan der Antikorruptionsakademie IACA sowie tätig für Transparency International, Interpol und den Europarat.

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DIE FURCHE: Herr Kreutner, haben Sie je erlebt, dass die heimische Justiz so sehr unter Beschuss stand wie heute?
Martin Kreutner: Ich habe das schon vielfach erlebt, allerdings in anderen Ländern, auf die man normalerweise mit dem Finger zeigt. In Österreich ist das in dieser Vehemenz und Betroffenheit wohl einmalig.

DIE FURCHE: Bereits 2008 hieß es von GRECO, der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption, Österreich sei in einem „frühen Stadium“ der Korruptionsbekämpfung. Auch der neue Bericht bestätigt das. Warum war und ist Österreich derart hintennach?
Kreutner: Österreich hat seit jeher einen sehr laschen und amnestischen Umgang mit Korruption. Zwar sind Schmiergeldzahlungen für Beamte die absolute Ausnahme. Wie aber der GRECO-Bericht erneut bestätigt, bestehen ausgeprägte Mauscheleien zwischen Politik, Wirtschaftseliten und auch manchen Medien.

Martin Kreutner - © Foto: UN Photo / Mark Garten

Martin Kreutner

war von 2001 bis 2010 Direktor des Büros für Interne Angelegenheiten, Dekan der Antikorruptionsakademie IACA sowie als Experte für Transparency International, Interpol und den Europarat tätig.

war von 2001 bis 2010 Direktor des Büros für Interne Angelegenheiten, Dekan der Antikorruptionsakademie IACA sowie als Experte für Transparency International, Interpol und den Europarat tätig.

DIE FURCHE: Nun sollen ja Reformen kommen, u. a. die länger geplante Abschaffung des Amtsgeheimnisses und – überraschenderweise – auch ein weisungsfreier Bundesstaatsanwalt.
Kreutner: Im Prinzip gute Vorhaben und jedenfalls begrüßenswert. Warum man aber die Diskussion um die weisungsfreie Bundesstaatsanwaltschaft vorab auf das Ein-Personen-Modell verkürzt, kann ich nicht nachvollziehen. Damit besteht erst recht wieder die Gefahr, dass erneut ein „Flaschenhals“ geschaffen wird, es zu Interventionen kommt oder zu vorauseilend wohlwollendem Verhalten. Senate aus unabhängigen Berufsrichtern wären die bessere Lösung, etwa mit Senatsvorsitzenden der Oberlandesgerichte gegen Ende ihrer Berufslaufbahn. Sie haben berufsrichterliche Qualifikation und müssen sich nirgendwo mehr „andienen“. Auch das Prinzip der Gewaltenteilung wäre damit konsequenter umgesetzt.

DIE FURCHE: Es wäre also jedenfalls besser, die Funktion auf mehrere Personen aufzuteilen?
Kreutner: Richtig, das haben schon die alten Römer gewusst: Tres faciunt collegium, drei machen spruchfähig. Was die Bestellungen betrifft, sollten Richterschaft und Staatsanwaltschaften jedenfalls eingebunden sein, etwa im Rahmen eines sogenannten Rates der Gerichtsbarkeit. Sofern auch das Parlament mitwirkt, sollte dies jedenfalls nur mit Zweidrittelmehrheit geschehen. Eine Berichtspflicht an das Parlament in Strafsachen ist jedoch auszuschließen. Das wäre ein Rückschritt ins rechtsstaatliche Mittelalter.

DIE FURCHE: Welches Gewicht hat der neue GRECO-Bericht des Europarats überhaupt?
Kreutner: Die GRECO-Berichte sind international höchst renommiert. Der aktuelle Compliance-Bericht untersucht, wie die Empfehlungen der letzten Jahre implementiert worden sind. Österreich bekommt als Note dabei ein „insgesamt ungenügend“ – ein ziemlich vernichtendes Ergebnis. Würde Österreich heute einen Antrag für die EU-Aufnahme stellen, wäre dieser wohl negativ.

DIE FURCHE: Auch aufgrund der derzeitigen Ermittlungen gegen führende Regierungsmitglieder ist Österreich in den internationalen Schlagzeilen.
Kreutner: Ich möchte mich nicht über konkrete Fälle äußern, sehr wohl aber über die „Leaks“-Vorwürfe. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Als Ermittlungsbehörde haben Sie mit Abstand das geringste Interesse, dass Ermittlungsergebnisse nach außen dringen. Sie zerstörten sich damit die eigene Arbeit. Das Problem sind vielmehr die Berichtspflichten. Wenn Staatsanwälte und Ermittler an einem Fall arbeiten, kann man den eingeweihten Personenkreis auf zwei Händen abzählen. Sobald ein Akt aber in den Berichtsweg geht, sind mehrere Oberbehörden, Sekretariate, Einlaufstellen und unter Umständen auch Ministerkabinette damit beteilt. Damit potenzieren Sie geradezu das Risiko, dass Informationen nach außen dringen.

Österreich hat seit jeher einen sehr laschen und amnestischen Umgang mit Korruption.

DIE FURCHE: Wenn es zu solchen „Leaks“ kommt: Sollte man unter Strafandrohung nachverfolgen, woher sie kommen?
Kreutner: Die Frage ist umgekehrt zu stellen: Warum gibt es überhaupt derartige Meldepflichten? Was ist der Sinn und Zweck davon? Dieses „Privileg der clamorösen Fälle“ (jener von öffentlichem Interesse, Anm.) hat der normale Staatsbürger auch nicht. Wenn eine Hausdurchsuchung beantragt wird, ein Staatsanwalt diese abzuwägen hat, dann seinerseits einen Antrag stellt, dieser Antrag von einem Richter nochmals überprüft wird: Warum sollen dann bei „clamorösen“ Causen noch etliche Oberbehörden über den genauen Termin und Details der Durchführung Tage vorab informiert werden müssen? Es stellt sich die Frage: Cui bono?

DIE FURCHE: Befürworter würden argumentieren, dass die Regierung und die Pressestellen vorab informiert werden, um Schaden von der Politik abzuwenden.
Kreutner: Im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes müssten sie dann wohl alle Beschuldigten über
anstehende Maßnahmen vorab informieren: den Drogendealer über eine geplante Razzia, den Gewalttäter über seine nahe Verhaftung usw. Ich bin überzeugt, dass dies keine Parlamentspartei ernstlich fordert.

DIE FURCHE: Was sagen Sie zur ­Kritik der ÖVP an der WKStA? Auch diese habe Fehler gemacht, etwa die Strafanzeige gegen eine „Presse“-Journalistin, auch die später als „unverhältnismäßig“ beurteilte Razzia im BVT.
Kreutner: Jede Dienststelle macht dann und wann Fehler, so auch die WKStA. Doch hat der gerichtliche Rechtsmittelschutz diese rasch korrigiert. Einzelne Verfehlungen im Tagesgeschäft einerseits und die strategischen Angriffe von maßgeblichen Teilen der Regierung andererseits sind ergo klar zu trennen. Da geht es auch nicht um politische Farbenlehre per se. Solche strategischen Angriffe auf die Justiz sind in jedem Fall zu verurteilen. Erinnern möchte ich auch daran, dass bereits 2019 und 2020 Personen aus der Politik und dem Justizministerium die WKStA aus dem Hintergrund scharf attackiert haben.

DIE FURCHE: Waren Sie überrascht von den Aussagen von Staatsanwältin Christina Jilek, die ja aufgrund andauernder politischer Einflussnahmen die WKStA verlassen hat?
Kreutner: Nicht wirklich. Wenn Sie sich bei jedem Ermittlungsschritt rechtfertigen müssen und dann vielleicht dafür auch noch „gute Tipps“ bis zu disziplinären Eintragungen bekommen, dann ist es menschlich, irgendwann genug zu haben. Und dass die Berichtspflichten in den letzten Jahren explodiert sind, ist unbestritten.

DIE FURCHE: Ist die „Verhaberung“ das Hauptproblem in Österreich?
Kreutner: Letztlich ja. Das liegt sowohl in der überschaubaren Größe des Landes als auch in sozio-historischen Entwicklungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Irgendwann haben wir vergessen zu trennen, was zu trennen ist. Wir scheinen nicht wahrhaben zu wollen, was Interessenkonflikte und Befangenheiten sind. Jeder „kleine“ Beamte hat im Dienstrecht entsprechend klare Vorgaben, in jeder größeren Firma gibt es einen „Code of Conduct“ und Compliance-Management-Systeme. In der Spitzenpolitik hingegen scheint man Klüngelei mitunter regelrecht zu feiern. Wir sollten ergo wegkommen von dieser legalistischen Diskussion „Was ist gerade noch legal?“ hin zur Frage „Was ist legitim?“, „Was erfordert der Anstand?“. Legitim im Sinne des Sozialvertrags, anständig im Sinne des Gemeinwohls. Diese Debatte, aber auch das zugehörige Problembewusstsein, fehlt bislang noch in größerem Ausmaß.

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