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Macht und ohhmacht der solidarnosc"

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Ob politische Herrschaft durch Philosophen moralisiert werden könnte, wenn nicht gar diesen selbst überlassen werden sollte? Schon im Altertum hat Dionys, der Tyrann, den guten Piaton eines Schlechteren belehrt.

Und Immanuel Kant konnte sich — sechs Jahre nach der Französischen Revolution — eher moralische Politiker vorstellen als politische Moralisten, die eine der Staatsraison „zuträgliche" Ethik schmieden. Schließlich hat unser Jahrhundert seine Erfahrungen mit Ideologie (als Uber- und Unterbau) gemacht.

Da hat es heute ein Philosoph, der einer gesellschaftspolitischen Bewegung wie Polens Solidarnosc zu Selbsterkenntnis und GeWissensentscheidung verhelfen will, nicht leicht - zumal wenn er als katholischer Priester das hohe Seil der politischen Balance betritt.

Das Buch „Ethik der Solidarität" von Jözef Tischner ist kurz vor dem jähen „Sturz" entstanden, doch es gewinnt vor dem Hintergrund des- und sei es auch vorläufigen — Scheiterns von Solidarnosc eine erregende Aktualität. Weil es nämlich neben der ideellen Kraft auch die Grenzen, ja die Ohnmacht dieser Bewegung deutlich macht.

Der Krakauer Philosoph hatte seit 1980 Katheder und Kanzel immer wieder mit der gewerkschaftlichen Arena vertauscht — als pastoraler Ratgeber, der sich der Gefahr eines politischen Klerikalismus bewußt bleibt, aber noch mehr der Risiken einer Gewerkschaftsbewegung, deren Grenzen zur Politik so fließend sind wie zur Religion.

Tischner entwickelt sein „Prinzip Hoffnung" aus Stichworten:

„Arbeit", überhaupt alles Wirtschaften, ist eine Form des Gesprächs, zwischenmenschlicher Verständigung; ist diese dialogische Struktur durch Lüge gestört, dann entsteht Ausbeutung, auch moralische. Eine Rebellion des Gewissens (nicht mit Aufruhr zu verwechseln) stellt dann die Frage nach der Menschenwürde (nicht mit Stolz und Ambition zu verwechseln).

Tischner warnt vor der „Illusion", die Ausbeutern und Ausgebeuteten . gemeinsam sein kann, daß die Eigentumsverhältnisse entscheidend sind, „daß der gemeinsame Besitz der Bäume eine hinreichende Garantie für gemeinsame Früchte ist".

Das ist die Selbsttäuschung dessen, was Tischner den „geschlossenen Sozialismus" nennt und dem er den „offenen Sozialismus" gegenüberstellt: Der eine hält nach der Sozialisierung der Produktionsmittel alle Ausbeutungen für beendet und ein gegenteiliges Bewußtsein der Arbeiter für illusorisch; der andere erkennt die „versteckteren Ausbeutungsformen" und damit den Sinn von Streiks.

Ein solches sozialistisches Ethos und ein christliches können sich „gegenseitig bereichern". Wohl auch, weil der christliche Philosoph nicht viel von einer Revolution hält, „bei der die Aufständischen den Thron (und die Methoden) der Tyrannen übernehmen".

Die echte unblutige Revolution vollzieht sich „auf der Ebene der Untertanen, nicht der Macht", wenn sich nämlich die Untertanen ändern, erweist sich der bisherige „König" schlichtweg als unnötig, er tritt ab.

In Tischners Solidaritäts-Ethos reduziert sich so das Kriterium echter Demokratie „auf den Grad ihrer Selbstverständlichkeit". Es geht ihm nicht um eine proletarische oder bürgerliche, sondern um eine „ethische Demokratie", in der die Idee der Menschenwürde den Gegensatz zwischen Freiheit und vernünftiger Ordnung vereint.

So abstrakt dies alles klingt, es wird konkreter, wenn Tischner sich an das Grundproblem, an die Systemfrage, heranwagt. Wie kann sich politische Macht echt legitimieren? Die Ermittlung des Mehrheitswillens durch Wahlen ist eine, aber nicht die einzige Form, so argumentiert er behutsam — in vollem Bewußtsein, wo er lebt, und er scheut auch nicht vor einem ebenso handfesten wie hinkenden Vergleich zurück:

„Aspirin hilft bei einer Grippe, aber nicht bei einem Beinbruch." Was also wäre eine andere Form demokratischer Machtlegitimierung? „Die Anerkennung der führenden Eliten."

Hier zum ersten Mal riskiert der Philosoph einen vergleichenden, scheuen Seitenblick auf seine Kirche, in der sich die religiöse Macht einer Priesterelite legitimieren muß, nämlich durch Uberzeugungskraft und Prinzipientreue.

Dasselbe, meint Tischner, sei auch auf politisch-ideologische Weise möglich. „Die Elite kennt das verheißene Land. Das Volk kennt die Absichten der Elite und vertraut ihr." So könne auch eine Minderheit „mit reinem Gewissen die Mehrheit lenken".

Empfiehlt Tischner etwa eine „geläuterte" Diktatur? Oder meint er nur mit Max Scheler, daß die „geltenden Werte einer Minorität durchaus ihrem Wesen nach solche der .meisten' sein können"? Tischners „Hintergedanken" entpuppt sich alsbald als ein pragmatisch-politischer: er will den Kampf der Solidarnosc „im Rahmen des allgemeinen politischen Systems" halten; er will dem Regime klarmachen, daß nicht seine Existenz, sondern seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt ist.

Der Ansturm der Solidaritätsbewegung soll als Vorschlag zur Besserung, nicht als Schlag gegen seine Fundamente verstanden werden: „Die Ethik der Solidarität ist eine Propositions-Ethik. Eine oppositionelle Ethik ist eine andersartige..."

Im politischen Alltag Polens ließ sich das freilich immer weniger auseinanderdividieren. Tischner selbst wurde am Ende skeptischer.

Seine Predigt beim zweiten Teil des Danzinger Solidarnosc-Kon-gresses (mit der das Buch schließt) warnt Ende September 1981 vor „irregeleiteten Hoffnungen", wie sie auch die Apostel hegten: auf ein Königreich Jesu, auf neue Brotvermehrungen. „Petrus zog das Schwert, um zu kämpfen ..."

Anfang November, in einem Vortrag in Rom, sah Tischner keinen Ausweg mehr aus der polnischen Krise: „Das Volk hat das Vertrauen in die Staatsmacht verloren, und diese hat zuviel Angst vor dem Volk, um an es zu glauben."

Ist nun mit der Solidarnosc auch ihr Philosoph gescheitert, verstummt im Kahlschlag des 13. Dezember? „Wälder wachsen ohne Lärm." Dieser Satz Tischners bleibt

ETHIK DER SOLIDARITÄT. Von Jözef Tischner. Styria Verlas. Graz-Köln-Wien 1982. 160 Seiten, kart.. öS 141,-

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