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Polen: Nach anormalen nun normale Probleme

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Mit knapper Mehrheit konnte Premierminister Jan Olszewski kurz vor Weihnachten sein Kabinett im polnischen Parlament durchbringen. Jozef Tischner erwartet viel von ihm.

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Mit knapper Mehrheit konnte Premierminister Jan Olszewski kurz vor Weihnachten sein Kabinett im polnischen Parlament durchbringen. Jozef Tischner erwartet viel von ihm.

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FURCHE: Wird 1992 für Polen besser als 1991?

PRÄLAT JOZEF TISCHNER: Ich glaube, wir werden auf wirtschaftlicher Ebene normale - das heißt: sinnvolle - Schwierigkeiten haben, bis jetzt hatten wir anormale.

FURCHE: Die mit dem politischen System zusammenhingen...

TISCHNER: Wir hatten auch ein anormales Wirtschaftssystem, man machte viele Sachen, die wertlos sind. Die normalen Probleme des freien Marktes haben begonnen. Sicher gibt es dabei Schwierigkeiten, wir brauchen ausländisches Kapital. Unsere Probleme sind deshalb so wichtig, weil man daran sieht, was in ein, zwei Jahren in anderen Ländern, vor allem in der Sowjetunion, passieren wird.

Es gibt zwei Arten von Schwierigkeiten: finanzielle, aber auch die Fähigkeit der Gesellschaft zur Selbstorganisaton. Wir hatten in Polen praktisch 60 Jahre keine Selbstverwaltung, keine Eigeninitiative - wir fan-

gen bei Null an. Noch schlimmer ist es in der Sowjetunion. Es kommen jetzt Leute aus Polen nach Österreich, um zu sehen, wie hier Selbstverwaltung funktioniert - vor allem in der Landwirtschaft. Trotz einer langen gemeinsamen Geschichte von Südpolen und Österreich gibt es heute viele Unterschiede. Der Kommunis-

mus hat diese Geschichte abgeschafft.

FURCHE: Auf der politischen Ebene haben die letzten Wahlen das Land fast unregierbar gemacht...

TISCHNER: Ich glaube trotz allem: Dieses Parlament wird sich verteidigen. Wenn nämlich das Parlament keine dauerhafte Regierung zustandebringt, kann der Präsident es auflösen. Das Parlament muß lernen. Es gibt sehr gute Leute, aber es gibt viele, die nicht wissen, was Politik eigentlich ist. Ich bin nicht ganz ohne Hoffnung, doch die Zeit vergeht sehr schnell. Vor der Wahl sagte man, man werde vielleicht zehn Jahre brauchen, um den Kommunismus zu überwinden. Nach solchen Wahlen mit diesem Parlament braucht man noch zehn Jahre mehr, also zwanzig Jahre.

Ich glaube aber, daß wir in Polen eine echte neue Leitfigur haben: Jan Olszewski. Ich habe im Rundfunk eine Sitzung im polnischen Parlament und die Reaktion auf die Rede von Olszewski gehört. Das ist eine wirklich kreative Persönlichkeit mit guter Politik. Er wird im Prinzip den Balce-rowicz-Plan weiterführen, aber mit Konzessionen an bestimmte Kräfte.

FURCHE: Wie steht die Kirche zu ihm?

TISCHNER: Gut. Die Wertschätzung des Episkopats ist für ihn eindeutiger als für Mazowiecki. Die Demokratische Union hat gewisse Fehler gemacht, was die Beziehung Kirche-Staat betrifft. Es ging vor allem um das Verhältnis von Kirche und Staat und um das Abtreibungsgesetz. Ausgangspunkt ist ein sehr schlechtes Gesetz. Der Arzt ist fast verpflichtet, eine Abtreibung durchzuführen, wenn eine Frau es will. Es gibt deshalb auf dem Gebiet der Gynäkologie fast keine Katholiken, denn Abtreibung war praktisch Bedingung für die Prüfungen in Gynäkologie.

FURCHE: Hat die Kirche nicht viel Popularität verloren?

TISCHNER: Ja, aber was bedeutet Popularität? Die Krise der Popularität hat keinen Einfluß auf das tägliche religiöse Leben. Die Gläubigen gehen in die Kirche - wie früher, es gibt viel Kritik an kirchlichen Aussagen -wie früher. Religiöses Leben verläuft immer in Wellen.

Richtig ist: Früher wollten die Leute wegen der politischen Situation nicht so offen die Kirche kritisieren, während jetzt jeder, der etwas auf der Seele hat, schreit. Das Gespräch führte Heiner Boberski.

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