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Deutschland 1951

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Vor dieser vorsommerlichen Reise 1951 — 5000 Kilometer in zwei Monatenl — hat der Verfasser Deutschland das letztemal im Jahre 1945 erlebt. Es war das Deutschland der heimatlosen Flüchtlingsheere auf allen Straßen, der zerstörten, hungernden Städte, des moralischen Verfalls, der seelischen Verzweiflung und der Herrschaft der Sieger... Es war die Zeit einer äußerlichen Einigkeit der Alliierten, einig in ihrer Haltung gegenüber Deutschland. Seither sind sechs Jahre vorübergegangen, sechs Jahre, in der sich die Lage der Welt verändert hat, neue Fronten — oder waren es immer die gleichen? — sich gebildet haben, sechs Jahre, in denen das geteilte Deutschland Gelegenheit hatte; seine Lebenskraft zu erweisen.

Für den Österreicher, den das Bewußtsein gemeinsamer Kultur und Sprache erfüllt, ist dieses Wiedersehen getrübt von der Erkenntnis politischer Verwirrung, die das unwandelbare Gemeinsame zu ersticken droht. Die Gewißheit Europas mag diese Betrübnis mildern.. Hat die abendländische Solidarität nicht jeden nationalen Chauvinismus längst zu einer Farce gemacht? Solche Einstellung schlägt schnell und

überall eine Brücke in Gesprächen, in Zukunftsplänen und Reminiszenzen. Dennoch ist für den Österreicher das Verblüffendste in allen Begegnungen und Gesprächen zwischen München und Hamburg die völlige Unkenntnis aller Schichten der deutschen Bevölkerung über die derzeitige Lage Österreichs. Selbst Redakteure großer Tageszeitungen haben meistens nur eine sehr verschwommene Vorstellung von der politischen Struktur Österreichs. Fast ausnahmslos wird die Lage der österreichischen Ostzone gleichgesetzt mit den Verhältnissen der deutschen Ostzone, und als Bewohner der Ostzone Österreichs wird man sofort überall mit mitleidigem Bedauern betrachtet, und Aufklärung über die besondere Lage der Besatzungsmacht in der Ostzone Österreichs und über das fast gleiche Leben im Osten und Westen Österreichs wird mit staunender Skepsis hingenommen ... Man hat auch den Eindruck, daß etwa Probleme Südamerikas oder Chinas den meisten Deutschen geläufiger und vertrauter sind als die Österreichs. Dies ist eine schmerzliche Erkenntnis und gibt uns ein Gefühl der Vereinsamung, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte.

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