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Opfer und Täter

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„Um den Teufelskreis, der sich um die jüngste Geschichte Österreichs zu schließen scheint, wenigstens an einer Stelle aufzubrechen“, hat Fritz Molden ein Buch geschrieben. Nie zuvor ist klarer und überzeugender der Legende entgegengetreten worden, da habe eine Republik der Opportunisten die Erinnerung daran zugeschaufelt, daß ihr Volk vor wenigen Jahren den Nazis und Antisemiten geschlossen die Räuberleiter gebaut hat.

Die „Feuer in der Nacht“, die dem Buch den Titel gaben, waren Orientierungszeichen für österreichische oder alliierte Fallschirmspringer, die während der NS-Zeit in abgelegenen Gebieten absprangen, um den Widerstand im Land zu stärken. Fritz Molden war einer dieser Widerständler — einer von 125.000, wie der Autor penibel nachrechnet.

Diese Rechnungen gehören zu den interessantesten, weil am wenigsten bekannten Fakten dieser Erinnerungshilfe. Mit rund 100.000 beziffert der US-Historiker österreichisch-tschechischer Herkunft, Radomir Luza, die Zahl der echten Widerstandskämpfer. Dazu kamen 20.000 Österreicher, die in alliierten Heeren, und weitere 5.000, die in Partisanenarmeen mitkämpften.

Auf der anderen Seite haben sich 105.000 Österreicher freiwillig zum Kampf für das Dritte Reich gemeldet, von denen man geschätzte 30.000 abziehen muß, die dadurch Gestapoverfolgungen entgehen wollten. Zählt man 50.000 freiwillige Waffen-SS-Leute wieder dazu, dann kommt man auf ungefähr die gleiche Zahl freiwilliger Pro-Nazi- wie AntiNazi-Kämpfer — rund zwei Prozent der Bevölkerung auf beiden Seiten.

Als Mitglieder einer nationalsozialistischen Organisation haben sich etwa 600.000 bis 650.000 Österreicher bekannt: neun Prozent. Ihnen gegenüber standen nicht nur 200.000 österreichische Juden, sondern auch weitere 235.000 Österreicherinnen und Österreicher, die zwischen 1938 und 1945 aus politischen Gründen festgenommen wurden. Rechnet man 60.000 katholische Priester und Ordensangehörige, rund 100.000 christlichsoziale Regimegegner, 80.000 Funktionäre der Sozialdemokratie und 15.000 bis 20.000 Kommunisten dazu (die als Gruppe den größten Blutzoll für Österreich erbrachten), dann kommen auf dieser Seite fast 700.000 oder zehn Prozent der Bevölkerung zusammen.

Und jetzt die Opfer: 66.500 ermordete Juden, 3500 umgebrachte Zigeuner und Zeugen Jehovas, 1700 hingerichtete Zivilisten, 3500 füsilierte Militärpersonen, 4500 von Standgerichten ermordete Deserteure, 16.000 in Gestapohaft und Gefängnissen, 16.500 in Konzentrationslagern Gestorbene, 12.000 als Widerständler oder alliierte Soldaten gefallene Österreicher: rund 125.000.

Dazu kamen 147.000 Gefallene der Wehrmacht und 35.000 Bombenopfer. Mit über 400.000 in der NS-Zeit gewaltsam ums Leben Gekommenen (6,5 Prozent der Bevölkerung) hat Österreich in absoluten Zahlen (!) mehr Menschen in der NS-Zeit verloren als Großbritannien, Italien oder die USA. Dem Patrioten Molden sei auch für diese Bilanzlegung gedankt.

DIE FEUER DER NACHT (Opfer und Sinn des österreichischen Widerstandes).“ Von Fritz Molden. Amalthea Verlag. 240 Seiten, Ln., öS 298,-.

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