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Osterreich -heute und morgen

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Österreich heute — das ist für Alexander Vodopivec die „Dritte Republik“, die (Betriebs-) Räte-Republik Österreich. Denn seiner Analyse des politischen Geschehens nach endete die Zweite Republik mit dem 10. Oktober 1975, an dem die Sozialisten die absolute Mehrheit erreichten und damit die Dritte Republik starteten. Mit der Herrschaft des „Sonnenkönigs“ (Bruno Kreisky) und seiner „Hausmeier“ (zunächst Franz Olah, dann Anton Benya) begann die Umwandlung der österreichischen Machtstrukturen in Richtung auf den „Gewerkschaftsstaat“, die Durchdringung aller Papillären von Staat und Wirtschaft mit dessen Parteigängern.

Mit dieser Prämisse durchleuchtet der erfahrene Innenpolitiker Verbände und Parteien, Wirtschaftsstrukturen und Landespolitik und skizziert schließlich den neuen Austro-Marxismus als Vorreiter auf dem Weg in eine nivellierte Gesellschaft. Er prognostiziert den Angriff der SPÖ auf die letzten Bastionen der ÖVP — Landwirtschafts- und Handelskammern, die noch „schwarzen“ Bundesländer —, läßt aber auch die Chancen erkennen, dieser Entwicklung bei den Wahlen 1979 einen Riegel vorzuschieben.

Ein faszinierendes Buch — nur praktiziert „Vodo“ etwas zu kräftig seine schon von früher her bekannte „Großzügigkeit“ im, vor allem personellen, Detail: Bundespresse-Sektionschef Franz Fischer wurde nicht von Kreisky aus dem Sozial-nvinisterium geholt, sondern absolvierte dazwischen zwei, seine Laufbahn wohl entscheidend bestimmende Funktionen: die des Pressechefs beim Bundespräsidenten und die des Leiters der Kulturabteilung des Bundespressedienstes. Dem Unterrichtsministerium legt Vodopivec taxfrei einen achten Sektionschef zu. Sektionschef März war längst Ministerialrat, als ihn noch Gratz als Leiter einer neuen, aus der Pädagogischen herausgelösten Sektion einsetzte. Erst später machte Sinowatz März zum Leiter des Ministerbüros und — nach Ausscheiden des Sektionschefs Rieger — zum Chef des (nie eine Sektion bildenden) Kultusamtes. Die „Sportsektion“ ist jene für außerschulische Jugenderziehung, ihr Leiter heißt Pruckner, nicht Bruckner. Die „Presse“ schließlich erschien 1946 als Wochen-, 1948 als Tageszeitung, nicht schon 1947. Dies nur einige auffallende Punkte — wie viele können sonst noch drin sein?

Österreich morgen — das ist ein Jahr nach Orwells 1984. Ein Jahrzehnt — ein Zeitabschnitt, den Statistiker und ökonometriker heute unschwer vorausberechnen können. Und da Herausgeber Ernst Eugen Veselsky als Präsident der „österreichischen Gesellschaft für Zukunftspolitik“ vor allem die wirtschaftlichen Aspekte im Auge hat, da weiter das „Modell Österreich“ mit seinen „Wachstums-, Vollbeschäftigungs-und Stabilitätserfolgen, seiner weitestgehenden Streik- und Konfliktfreiheit“ als Ausgangsbasis für das „Projekt ö 85“ dient, an dem 115 Wissenschafter und sonstige Leute, die etwas zu sagen haben, mitarbeiteten — aus allen diesen Gründen sieht das skizzierte Bald auch recht positiv aus. Vorausgesetzt, daß sich die Dinge wirklich so weiterentwickeln, wie man es heute aus den Ausgangsdaten hochrechnen kann. Veselsky faßt zusammen, daß es in unser aller Hand liegt, aus den möglichen Zukünften die für uns beste auszuwählen. Womit er zweifellos recht hat.

Aber bestimmt sich die Zukunft wirklich nur aus den Fragen nach Wachstum oder Stagflation, nach der Lebensqualität im Sinn einer gesunden Umwelt, nach dem Arbeitsmarkt, der Energieversorgung, dem Außenhandel oder der Dienstleistungsgesellschaft? Ist die Frage nach der „Feminisierung der Kultur“, nach den Freizeitgewohnheiten, nach der neuen Defindtion der „Allgemeinbildung“ (von der nur gesagt wird, sie müsse „demokratisch“ diskutiert werden), nach dem Kunstkonsum schon alles, was außerhalb der rein materiellen Zufriedenheitsquote analysiert werden müßte? Freilich, wo die statistischen Daten fehlen, sind die Futurologen „aufgeschmissen“.

Aber kann eine Zukunftsprognose umfassend sein, die die Existenz der Kirchen „gar nicht ignoriert“? Wird nicht die Zukunft sehr weitgehend davon bestimmt werden, welchen Sinn die Menschen hinter den Dingen suchen, welche immateriellen Ziele sie ansteuern? Sicherlich — wie sich diese Aspekte in zehn Jahren entwickeln werden, ist noch schwerer zu kalkulieren als das Bruttosozialprodukt. Aber immerhin gäbe es die Papiere der Synoden, die Programme der Vorfeldorganisationen, die Aussagen ihrer Verantwortlichen, die Untersuchungen kirchlicher Institute für Sozialforschung.

Ich glaube nicht, daß Veselsky der Ansicht ist, in zehn Jahren wären diese Aspekte nicht mehr relevant. Ich glaube aber, daß dieses — sonst äußerst lesenswerte — Buch auch im Hinblick auf die heute so laut angekündigte „Ideologiediskussion“ analysiert werden sollte.

DIE DRITTE REPUBLIK. Von Alexander Vodopivec, Molden-Verlag, Wien, 336 Seiten, öS 234.—.

OSTERREICH 1985 — SO LEBEN WIR MORGEN. 110 Fachleute analysieren unsere Zukunft. Herausgeber Ernst E. Veselsky. Verlag Orac, Wien, 372 Seiten, öS 228.—.

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