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Wer regiert in Österreich?

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Diese Frage stellt der bekannte Journalist Alexander Vodopivec, um unter demselben Titel („W er regiert in Österreich?” Ein politisches Panorama. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 375 Seiten. Preis 142 S) auch seine Antwort zu geben. Freunde und „Freunde” hat der Autor mit dem Buch in gleicher Weise überrascht. Waren erstere ein wenig besorgt, daß sich der als Tages- journalist nicht unbedingt zu wissenschaftlicher Exaktheit verpflichtete und von dieser Dispens auch reichlich Gebrauch machende Verfasser hier ordentlich auf Glatteis vorgewagt habe, so prophezeiten die anderen jene berühmten zehn Prozent „Wahrheitsgehalt” aller Vodopivec-Artikel…

Nun liegt das Buch vor. Es zeigt vor allem, wie sehr die fachliche Qualifikation gerade eines Journalisten mit den Aufgaben verbunden ist, die man ihm stellt bzw. die er sich mangels eines anderen, auf höhere Leistungen interessierten Auftraggebers selbst stellt. Erwartet man von ihm Couloirgeheimnisse und Geschichten von der politischen Hintertreppe, so wird er sie, ohne viel zu überlegen, liefern, bietet sich aber einmal die Gelegenheit zu echtem politischem Journallfmus, kann er in Ehren bestehen!’ Angebot und Nach fraget Man müfite lügen, wollte man behaupten, daß bisher die Nachfrage nach Werken ernster politischer Schriftstellerei in Österreich groß war und daß solche Arbeiten auch — im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinn — entsprechend honoriert würden. Das aber liefert das Gros der Journalisten der Tagesroutine mit allen ihren unliebsamen Begleiterscheinungen aus.

Vodopivec hat diesen Teufelskreis einmal durchbrochen. In dem vorliegenden Buch versucht er etwas Ähnliches wie eine historische, soziologische und wirtschaftliche Bestandsaufnahme der Zweiten Republik. Die Parteien stehen am Eingang. Aber sie sind nicht der Staat, geschweige denn die Gesellschaft. Deshalb stößt Vodopivec weiter vor. In die Welt der Interessenvertretungen zunächst; aber auch die „Kulturfront” wird abgetitten und die heute so oft und so gern als reine „Erfüllungsgehilfen” behandelten Kräfte der öffentlichen Meinung — Presse, Rundfunk, Fernsehen — werden aus einer intimen Milieukenntnis einem breiteren Publikum vorgestellt.

Vodopivec’ Form dieses „Grundlagenberichtes” ist die politische Reportage. Sein geistiger Standort darf nahe dem Pressehaus auf dem Fleischmarkt, das zu seiner publizistischen Heimat geworden ist, lokalisiert werden. Das Buch selbst wurde im Wettlauf mit der Zeit geschrieben. Mehrmals wurde sein Erscheinen gestoppt und das eine oder andere Kapitel rasch auf den letzten Stand der Dinge gebracht. Einmal aber mußte es abgeschlossen werden, und es endet nun mit den Ereignissen des vergangenen Herbstes, die nach dem Theaterdonner der Regierungskrise zur Bildung des Kabinetts Raab IV führten.

Geschmeidigkeit und Einfühlungsgabe sind Tugenden des Journalisten, die Vodopivec auch für diese politische Großreportage mitbekommen hat. Leider verlassen sie ihn, wann immer Fragen der Kirche und Probleme des österreichischen Katholizismus zur Sprache kommen. Hier ist er nicht recht zu Hause. Die Meinung, „daß im erzbischöflichen Ordinariat nicht nur die Einstellung des streng katholischen Flügels innerhalb der Volkspartei bestimmt, sondern auch eine Reihe personalpolitischer Fragen entschieden wird” (S. 34), konnte wohl nur von einem Autor getroffen werden, der von der neuen Wirklichkeit des Katholizismus in Österreich keine Intimkenntnisse besitzt. Übrigens; die Bezeichnung „streng katholisch”, die der Verfasser an dieser und an mancher anderen Stelle zur politischen Qualifikation von Menschen, Strömungen und Institutionen verwendet, ist ideen- geschichtlich unbefriedigend.

Sie ist mit allem unterschwelligen Beiklang anscheinend die moderne Variation des guten, alten „klerikal” — ein Wort, das der Verfasser uns und vor allen Dingen sich selbst erspart. Kardinal König würde arg verwundert sein, als „Neuländer” (S. 238) vorgestellt zu werden. Mit dem Klischee „Hie Neuland — hie CV” teht der Verfasser tief in der Vergangenheit und wird der kirchenpoliti- sehen Gegenwart, die ganz andere Formierungen und, wenn man will, auch Firmierungen kennt, in keiner Weise gerecht. Der Bericht über die katholische Presse in Österreich ist wohltuend leidenschaftslos und sachlich. Bei dem „über den engen Wirkungskreis katholischer Verlage hinausgehenden Einfluß”, der einem nicht existierenden „Verband Katholischer Herausgeber und Journalisten” zugestanden wird, sollte sich der Autor vor einer Neuauflage entscheiden, ob er hier die „Arbeitsgemeinschaft Katholischer Journalisten” meint oder ob er von dem „Verband Katholischer Publizisten” spricht, in dem ich die katholischen Verleger und Journalisten zur Bewältigung gemeinsamer Probleme zusammengefunden haben. Die Erwähnung der Namen Erftst Molden und Gustav Canaval deutet darauf hin, daß Vodopivec die erstgenannte „Arbeitsgemeinschaft” im Sinn hatte.

Wenn wir schon bei der Liste der „Errata” sind, so seien einige im Vorübergehen, ebenfalls zur Korrektur einer allfälligen zweiten Auflage, vorgeschlagen. Ein „Abgeordneten-Bund” (S. 21) der

Volkspartei ist uns selbst bei ihrer hündischen Struktur unbekannt. Es dürfte sich um den Klub der ÖVP-Abgeordneten handeln. Der Führer der „Jungen Front”, die in der österreichischen Innenpolitik um die Jahre 1949 und 1950 von sich reden machte, Dr. Ernst Strachwitz, wird zum Gebirgsjägerhauptmann degradiert (S. 110). Dabei war und ist er auf seine in jungen Jahren in der Deutschen Wehrmacht erworbene Majorscharge so stolz Ignaz Köck starb nicht im April (S. 43), sondern erst im Herbst 1957. ln dem vorliegenden Buch findet sich ohne Zweifel auch der „Urtext” jener aus gegebenem Anlaß weitverbreiteten Legende, der kurzlebige Generaldirektor der Ravag, Czeika, sei „aus der Richterkarriere” (S. 328) hervorgegangen. Diese „Richterkarriere” des Beamten Czeika war wohl das bekannte Gerichtsjahr, das jeder junge Jurist hinter sich bringen muß.

Das Schlußwort der vorliegenden Bestandaufnahme bildet eine kleine Studie über die Oligarchie in der Demokratie. Es liegt nahe, daß der Verfasser sich hier nicht in allgemeinen Formulierungen ergeht, sondern die Entwicklung der Demokratie in Österreich vor Augen hat. Nach Vodopivec sind es ungefähr 400 Männer, die heute in Österreich in einem komplizierten Wechselspiel Macht und Herrschaft ausüben. Vierhundert? Das sind gar nicht so wenige. Wir haben die Macht schon bei viel kleineren Gruppen gesehen. Wenn der Verfasser diese Herrschaft erleichtert sieht durch die weitgehende Interesselosigkeit und Passivität der Massen, so liefern die bekannten Fischer-Karwin-Interviews, von denen in der „Furche” bereits mehrmals die Rede war, den Anschauungsunterricht für diese Feststellung. Die Sorge des Verfassers über eine aus dieser Geisteshaltung jederzeit mögliche Fehlentwicklung ist auch unsere Sorge.

Vodopivec’ Buch kann mithelfen, daß Gespräche über Politik in Österreich wieder „gesellschaftsfähig” werden. Wenn es auch das politische Denken befruchten und anregen könnte, so wäre dies viel — sehr viel sogar.

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