6803538-1971_46_13.jpg
Digital In Arbeit

Richters Bach

Werbung
Werbung
Werbung

Den Orgelzyklus im Großen Musikvereinssaal eröffnete Karl Richter mit einem ausschließlich J. S. Bach gewidmeten Konzert: Präludium und Fuge h-Moll, D-Dur und e-Moll sowie die Triosonaten Nr. 2 und Nr. 6. Ein großartiges Programm, in dem der Interpret zeigen konnte, was er kann. Virtuosität vor allem und Klangphantasie. Aber ist diese auch Bach gemäß? Freilich verführt die große neue Orgel, deren Disposition von Karl Richter stammt, zu allerlei Klangzauberspielen.

Am hemmungslosesten gibt sich ihnen der beliebte Organist und Chordirigent in den Präludien hin. Aber auch bei den Fugen wechselt er ständig die Manuale und färbt die Stimmen. Das unschöne Tutti des vollen Werks klingt wie Dämonengeheul. Man braucht kein Purist, kein klanglicher Vegetarier zu sein, um dies alles als im höchsten Grad problematisch zu empfinden.

Richter spielt so, wie er es bei seinen Lehrern Karl Straube und Günther Ramin gelernt hat. Fünf Jahre lang hat er dem Dresdner Kreuzchor angehört. Das ist, so sollte man meinen, die beste Bach-Schule, die es gibt. Aber schon damals gab es anderes: die Orgelbewegung, die Rückkehr zu den Registern und dem Klang der Silbermann- und der Schnitger-Orgel, die Bücher und das

Beispiel Albert Schweitzers, die Archivproduktion der DGG, ausschließlich mit alten Instrumenten, die niederländischen, französischen und Schweizer Orgelschulen, die Bach-Wochen von Brügge und vieles andere mehr.

Von all dem will Richter anscheinend nichts wissen. Und das Publikum? Es zeigte sich begeistert — und hatte auch Grund dazu. Denn Richter ist ein Virtuose erster Ordnung, er spielt mit Temperament und persönlichem Engagement. Niemand käme bei ihm auf die Idee, daß „wohltemperiert“ auch „lauwarm“ heißt.

Es gab eine Zeit, da mußte man daran erinnern, daß gute Musiker nie wie Schulmeister musiziert haben. Jetzt muß man betonen, daß die Musik der Meister, vor allem die Bachs, all jener Zutaten, die Richter so reichlich verwendet, nicht bedarf und daß sie die Musik des Thomas- kantors verfälschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung