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Sucht nach Sicherheit

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Sicherheit ist ein positiv besetztes Reizwort: Mit dem Slogan „Sicher in die achtziger Jahre" waren die deutschen Sozialisten in die letzte Wahl gezogen, die österreichischen wiederum werben derzeit für den Bau des Wiener Konferenzzentrums mit dem Spruch „Sicherheit und Tausende Arbeitsplätze" und weltweit steigen die Rüstungsausgaben zur Sicherung des Friedens sowie die Budgetdefizite zur Sicherung der Vollbeschäftigung...

Wieso ist dieses Streben nach Sicherheit heute noch so ausgeprägt? Immerhin bauen wir seit Beginn der Industrialisierung vor mehr als 150 Jahren an einer Welt, die uns ein Leben in Wohlstand und Sicherheit verheißt. Zweifellos waren wir Europäer, was unsere Versorgung anbelangt, sehr erfolgreich. Es geht uns materiell sehr gut. Aber gesichert fühlen wir uns nicht. Im Gegenteil, je besser es uns geht, umso mehr bewegt uns die Sorge um die Erhaltung des Erreichten.

Die erfolgreiche Umsetzung unserer wissenschaftlichen Einsichten hat uns lange in der Sicherheit gewiegt, daß alle Probleme rational lösbar seien: sichere Beherrschung der Natur, der Wirtschaft, der politischen und gesellschaftlichen Organisation..'.

Die siebziger Jahre haben diese Erwartungen in vieler Hinsicht enttäuscht: 15 Millionen Arbeitslose in Europa klagen die wirtschaftspolitische Entwicklung an, Kostenexplosion und Wirtschaftsflaute gefährden das Netz der sozialen Sicherheit, die weltweite Verbreitung und zunehmende Perfektionierung der Waffen bedrohen das System internationaler Sicherheit, die effizienten Produktionsmethoden in Industrie und Landwirtschaft unseren Lebensraum...

Was liegt da näher, als nach neuen Sicherungssystemen zu rufen? Wer allerdings im Lexikon unter „Sicherheit" nachliest, erkennt, daß dieses Ziel für den Menschen unerreichbar ist. Laut Meyer ist Sicherheit ein „Zustand des Unbedrohtseins, der sich objektiv im Vorhandensein von Schutz bzw. Fehlen von Gefahrenquellen) darstellt...

Naturwissenschaftliche Einsichten und ihre technischen Anwendung en haben so manche natürliche Bedrohung beseitigt. Manches bleibt aber trotz gigantischer Anstrengungen nach wie vor ungeklärt, etwa das Wettergeschehen.

Diese Art von natürlicher Bedrohung wird heute durch eine vom Menschen produzierte Umweltbedrohung noch weit übertroffen. Das zur Sicherung unserer Versorgung eingerichtete Wirtschaftssystem gefährdet durch seine Nebenwirkungen den natürlichen Lebensraum, auf den wir angewiesen sind: Das Sicherungssystem produziert neue Unsicherheit.

Zu seiner Wirksamkeit mußte unser Gesellschaftssystem auch den Menschen disziplinieren und an die Logik des Systems anpassen. Verfallserscheinungen, die sich insbesondere als Verlust an erfüllten Beziehungen zu anderen Menschen äußern, waren die Folge. Die daraus resultierende Instabilität der Persönlichkeit des Menschen stellt eine weitere Gefährdung dar: Kriminalität, Terrorismus, Zerstörung öffentlichen Eigentums nehmen weltweit zu.

Um uns vor diesen Nebenwirkungen zu schützen, unternehmen wir die vielfältigsten Anstrengungen, das System weiter zu perfektionieren. Der Mensch wird immer mehr zum Rädchen in der großen Maschinerie, existiert bald nur mehr als Zahl: Kontonummer, Steuernummer, Kundennummer ...

Obwohl wir also dauernd Sicherheit produzieren wollen, schaffen wir immer unsichere Verhältnisse.

Wo gibt es einen Ausweg? „Wer versichert ist, hat einen Freund", kann man auf Plakatwänden lesen. Diese Aussage stimmt zwar kaum (wie man oft bei Abwick-. lung eines Schadensfalles merkt), sie enthält aber einen wertvollen Hinweis: Wir brauchen nicht so sehr abstrakte Sicherheit als einen Freund — jemanden, der uns in allen Lebenssituationen annimmt, der Geborgenheit gibt.

Wir sind auf das falsche Ziel ausgerichtet, wenn wir nach Sicherheit streben. Als Menschen brauchen wir primär Geborgenheit.

Es geht um eine Schwerpunktverschiebung: Neben selbstverständlichen Bemühungen um funktionstüchtige — wenn auch nicht perfekte - Systeme sollten wir uns vor allem darauf konzentrieren, verläßlichere Menschen zu werden, die Geborgenheit vermitteln können.

Denn vielen ist heute das Gefühl, irgendwo zu Hause zu sein, sei es unter vertrauten Menschen, sei es in einer anheimelnden Umgebung, weitgehend verlorengegangen. Das zweckrationale Denken hat unsere Mitmenschen und unsere Umwelt gesichtslos werden lassen. In der Anonymität aber kann Geborgenheit nicht wachsen, versucht man sich mit dem Surrogat Sicherheit zu betäuben.

Um gegenzusteuern, müßten wir uns alle stärker nach Werten wie Treue, Hingabe und Vertrauen ausrichten. Statt Verantwortung an die Gesellschaft abzuschieben, sollten wir Verantwortung für unsere Mitmenschen übernehmen.

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