6803351-1971_45_15.jpg
Digital In Arbeit

Völkerrecht in Evolution

Werbung
Werbung
Werbung

Dem Altmeister europäischer Völkerlehre und bedeutendsten christlichen Professor der Rechtsphilosophie des Abendlandes an der Schwelle zum dritten Jahrtausend nach Christi Geburt, Alfred Verdross, wurde zu seinem Eintritt in den ehrwürdigen Bund der Okto- genarier eine literarische Ehrung in Gestalt vorliegender Festschrift zuteil, die in ihrer weitgespannten Konzeption, durch den wissenschaftlichen Glanz ihrer Autoren und die Tiefe auszulotender Probleme völkerrechtlichen und rechsphilosophi- scher Denkkreise manches in den Schatten stellt, was an hohen Geburtstagen geboten wird. Der Vorstand des Wiener Universitäteinsti- tutes für Völkerrecht und internationale Beziehungen, ordentlicher Prof. Dr. Karl Zemanek, hat darauf hingewiesen, daß sich die geistige Ausstrahlung des Jubilars in. der Person der Verfasser der Beiträge dieser Festgabe widerspiegelt: denn Verdross habe nicht nur eine Schule begründet; sein Einfluß reiche weit darüber hinaus. Die geistige Verbindung zu ihm führe Autoren mit unterschiedlichen, ja gegensätzlichen philosophischen Positionen zusammen und zeugt für die Fruchtbarkeit seiner Ideen. Zemanek, Verdross- Schüler und Nachfolger auf dessen Wiener Lehrkanzel, widmet seinen Geburtstagsgruß der „Bedeutung der Kodifizierung des Völkerrechts für seine Anwendung“, wobei er die offizielle Kodifikation in der Gegenwart untersucht, die vorwiegend, wenn nicht schon ausschließlich in die Verantwortlichkeit der Organisation der Vereinten Nationen fällt. Stephan Verosta, Völkerrechtslehrer und Professor der Rechtsphilosophie in Wien, analysiert den Begriff „Internationale Sicherheit in der Satzung der Vereinten Nationen" und kommt — dem Lebensanliegen Verdross’ entsprechend — auch auf die zunächst scheinbar fernerliegende individuelle Sicherheit des Einzelmenschen zu sprechen: ein Faktor, der mit Fragen der Metaphysik, der Theologie, der Anthropologie und Rechtsphilosophie in engster Verflechtung steht. Von großer Bedeutung ist die Schlußfolgerung Verostas, daß der Begriff „Internationale Sicherheit“ sich ohne Heranziehung des Prinzips des politischen Gleichgewichts nicht voll ermitteln läßt.

In der Geschichte des Rechtes ist es eine Tatsache, daß sich die rechtsuchenden Menschen immer wieder um die Erkenntnis des Naturrechtes als eines Rechtsbestandes von präpositiven Normen bemühen; ein Bemühen, das fast ständig von einer Naturrechtskritik begleitet ist. Diese Naturrechtskritik verneint die Relevanz von Naturrechtslehren für das positive Recht, bisweilen leugnet die Naturrechtskritik das Vorhandensein des Naturrechtes als solches. Zu den Vertretern der Naturrechtskritik, die das Vorhandensein des Naturrechtes bejahen und nur eine einzelne Naturrechtslehre kritisch beurteilen, ist der im 18. Jahrhundert lebende Benediktiner Anselm Desing zu zählen, dem ein anderer Verdross-Schüler, ordentlicher Prof. Dr. Herbert Schambeck seinen Beitrag in der Festschrift widmet. Auch Prof. Doktor Renė Marcic, Salzburger Staatsund Rechtsphilosoph von internationalem Rang, legt dem Altmeister Erwägungen dieses Gedankenkreises zu Füßen: er .untersucht — im Gegensatz zu den üblichen Interpretationen der Menschenrechte — die „Menschenpflichten“ und nennt sein opusculum bescheiden eine „Gedanken- und Systemskizze“, wiewohl seine umfänglichen Darlegungen zum Tiefsten und Klarsten zählen dürften, was diesem ewig jungen Thema bisher zugedacht worden ist. Prof. Dr. Johannes Messner, selbst Oktogen’arier, der zu den bedeutendsten Interpreten der naturrechtlichen und christlichen Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts gezählt werden muß und ebenfalls — wie die genannten Persönlichkeiten — zu den ständigen Autoren der „Furche" zählt, konfrontiert „Völkerrechtslehre und Geschichtsphilosophie“, wobei er deren evolutionären Charakter besonders hervorhebt. Im Völkerrecht spiegelt sich immer stärker die Entwicklung des Rechts- bewußtseins der Menschheit und schon weist die heutige Form des Völkerrechtes über sich hinaus auf neue Faktoren seiner Entwicklung. Dazu gehört das rasch an Intensität und Aktivität zunehmende Interesse an der Verwirklichung der Menschenrechte in der ganzen Spannweite der rechtlichen Existenzordnung des Menschen, besonders aber auch der Völkerrechtsgemeinschaft. Dieses Interesse mit seinen Zielen in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht deutet Messner als eine unaufhaltsam bewegende Kraft der Geschichte. Anderseits werde das unter dem Ansporn des Interesses sich fortlaufend konkretisierende sittlich-rechtliche Bewußtsein der Menschheit in immer neuen sich weitenden Perspektiven den Weg der sich entwickelnden Völkergemeinschaft ableuchten müssen, damit die Hoffnungen ‘auf einen Fort schritt nach den Forderungen des „universalen Humanismus“ (Fortschrittsenzyklika Nr. 72) erfüllt werden.

Zu den Geburtstags-Autoren zählen weitere große Namen, wie auch solche, deren jugendlicher Glanz eine bedeutende wissenschaftliche Zukunft verspricht. Sie seien in der Reihenfolge ihrer Beiträge aufgeführt: Ludwig Adamovich, Juraj Andrässy, Milan Bartos, Rudolf L. Bindschedler, Erik Oastren, Felix Ermacora, Konrad Ginther, Paul Guggenheim, Friedrich August Freiherr von der Heydte, Hans Kelsen,

Andreas A. Khol, Norbert Leser, Theo Mayer-Maly, Adolf J. Merki, Herbert Miehsler, Erhard Mock. Hermann Mosler, Manfred Rotter, Walter Rudolf, Georg Schwarzenberger, Ignaz Seidl-Hohenveldem, Erik Suy, Antonio Truyol y Serra, G. J. Tuiy- kin, Wolfgang Waldstein.

Dem Jubilar wünscht der „Furche“- Rezensent auch zu diesem Anlaß von Herzen: Ad multos annos!

VÖLKERRECHT IN EVOLUTION. Internationale Festschrift für Alfred Verdross. Zu dessen 80. Geburtstag herausgegeben von Renė Marcic, Hermann Mosler, Erik Suy und Karl Zemanek. Im Wilhelm-Fink-Verlag, München—Salzburg, 1971, 596 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung