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Von West-zu Resteuropa, II. Akt
Wenn es wahr ist, daß die deutschen Ostverträge den Weg zur europäischen Sicherheitskonferenz freigemacht haben, dann muß man im nachhinein noch wünschen, daß diese Verträge nicht geschlossen worden wären. Denn aus einer an sich wünschenswerten Sicherheitskonferenz können die nichtkommunistischen Staaten nur dann unversehrt herauskommen, wenn sie sich ohne moralischen Druck von innen und außen an den Verhandlungstisch setzen. Diese lebenswichtige Voraussetzung ist aber nicht mehr gegeben, seit die Ostverträge weit über Deutschland hinaus eine Euphorie entfacht haben, in der das Kriterium jedweder Entspannung, nämlich die Sicherheit, im Nebel der Frie densphrasen entschwindet. Die meisten Regierungen wissen zwar mehr oder minder genau, was da gespielt wird und was auf dem Spiel steht; aber die wenigsten würden es wagen, die Konferenz zu verlassen oder zu sprengen, wenn die Russen tatsächlich durchdrücken wollen, was sie, kaum variiert, seit eh und je fordern: den Abzug der Amerikaner, die Auflösung der NATO, die Einbindung der vorerst noch freien Staaten in ein von Moskau dominiertes System der kollektiven Sicherheit.
Also wird man, um der momentanen Volksgunst willen, auch dort noch verhandeln, wo es dann nichts zu verhandeln mehr gibt: über die beiderseitige ausgewogene Truppenreduzierung; über einen Gegenstand also, der ab ovo zweierlei garantiert: eine endlose Prozedur und kein reelles Resultat, denn was sich, wie die Kampfkraft einer Armee, nicht zahlenmäßig definieren läßt, das läßt sich auch nicht wiegen und nicht abwägen. Und während Rußland weiterhin aufrüstet, hat im Westen, nach dem Vorgang Österreichs, die Abrüstung jetzt schon begonnen: Die Bundesrepublik hat die Dienstzeit verkürzt und die Weiterentwicklung gewisser Waffensysteme zurück-, wenn nicht gar eingestellt; Dänemark plant die praktisch völlige Auflösung seines Landesheeres; Schweden registriert eine eklatante Abnahme des Verteidigungswillens; und die US-Streitkräfte in Europa befinden sich in einem permanenten Schrumpfungsprozeß. Der Westen hält bereits beim militärischen Minimum, so daß jede, auch eine wirklich „ausgewogene“ Truppenreduzierung nur jene Macht-Vakua schüfe, in die der russische Imperialismus dann gewaltlos einsickern kann. Denn die politische Funktion der riesigen Sowjetarmee besteht ja nicht im Kämpfen, sondern im Drohen, und sie marschiert erst dann, wenn der Gegner abgeschnallt hat. Dann aber marschiert sie ganz bestimmt.
An der Unlösbarkeit des Problems einer beiderseitigen ausgewogenen Truppenreduzierung muß die Sicherheitskonferenz scheitern. Aber sie darf ja, wie oben gesagt, nicht scheitern, und deshalb kann sie mit gar nichts anderem enden als mit der westlichen Kapitulation.
Ob die russische Hegemoniegrenze dann am Rhein oder arm Atlantik verläuft, liegt bei Frankreich, das sich angesichts der deutschen und skandinavischen Selbstentmündigung offenbar anschickt, einer neuen, nämlich Rest-NATO ihr altes Gewicht zurückzugeben.
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