6686206-1962_17_10.jpg
Digital In Arbeit

Auf zur pluralistischen Weltgeschichte

Werbung
Werbung
Werbung

In (einem neuesten Werk versucht der Autor, der sich stets kritisch mit den Phänomena Imperialismus, Kapitalismus und Sozialismus auseinandersetzte, einen Schlüssel für die politische, wirtschaftliche und soziologische Tendenz zu liefern, mit der der Westen ebenso wie der Osten für die Zukunft zu rechnen hat. Viele seiner Erwägungen fußen auf einem früheren Werk, „Kapitalismus und Sozialismus vor dem Weltgericht“, das 1951 in New York herausgegeben wurde.

Im vorliegenden Buch gliedert er seine Analyse in drei Teile. Der erste beschäftigt sich mit der Zeit von der ersten' industriellen Revolution bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, also mit Europas Blüte und Abstieg. Noch vor einem halben Jahrhundert war Europa das Zentrum der Geschichte und ein vielfach entscheidender Faktor für die Entwicklung der meisten außereuropäischen Nationen. Zuerst machte Amerika dem europäischen Kontinent seinen Rang streitig. Rußlands Aufstieg zur zweiten Weltmacht fußte auf einem revolutionären Prozeß. Da es sich nach dem zweiten Weltkrieg auf die Eroberung seiner asiatischen Provinzen konzentrierte, sieht Sternberg Rußland als eine asiatische Macht an und bezeichnet die Periode der Weltmächte gleichzeitig als die Periode des Niederganges der Position Europas, um den es zwar weiß, aus dem es jedoch noch nicht die nötigen politischen Konsequenzen gezogen hat.

Den amerikanisch-russischen Wettkampf um die Weltherrschaft analysiert der Autor im zweiten Teil seines Buches nach wirtschaftlichen und militärischen Gesichtspunkten, aber auch von den Erziehungssystemen aus. Weitreichende militärische Veränderungen im Frieden rechtfertigen es, von einer militärischen Revolution zu sprechen, die auf das gesamte politische und gesellschaftliche Leben ausstrahlt und einwirkt. Die amerikanischen und russischen Militärausgaben waren in letzter Zeit nominell fast gleich hoch. Sie machten in den USA rund zehn Prozent, in der Sowjetunion jedoch fast ein Viertel des Volkseinkommens aus. Dies ist der wirtschaftliche Preis, den die Russen dafür bezahlten, daß sie auf entscheidenden Gebieten heute selbständige Träger der militärischen Revolution geworden sind.

Ln..„disKS. ErflzdS spielteow-ik^lxzise. hitngssysteme eine wesentliche Rolle. Rußland gelangte zu seinen großen Erfolgen auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und Technik durch eine Kombination von drei

Faktoren: Die Russen haben geniale Wissenschaftler, sie bauten ein System auf, das diese Wissenschaftler in jeder denkbaren Weise unterstützt, und sie schufen für Millionen Menschen eine neue Ausbildungsgrundlage, die kein Talent verlorengehen lassen soll. Sternberg liefert interessantes Zahlenmaterial über die wissenschaftlichen Kräfte in den USA und der Sowjetunion sowie den Anteil des Volkseinkommens, der für die Volksbildung aufgewendet wird. Dies führt eindeutig zu der Schlußfolgerung, daß es für die USA und Europa nicht ausreicht, ihre bisherigen Anstrengungen fortzusetzen; sie müssen sie ganz außerordentlich steigern, um zu vermeiden, daß die Russen an die Spitze der Welt kommen.

Breiten Raum widmet Sternberg im dritten Teil dem Aufstieg der Entwicklungsländer, besonders Asiens, wo China im Begriff ist, eine Weltmacht zu werden, und Indien sich auf dem Weg zur Großmacht befindet. Sternberg vertritt die Auffassung, daß sich dieser Aufstieg in den sechziger Jahren auf ganz Südostasien ausdehnen und auch auf die arabischen Länder, auf zahlreiche Gebiete Afrikas, auf Mittel- und Südamerika übergreifen wird. Dieser globale Aufstieg wird nach Ansicht des Autors bewirken, daß kein einzelner Staat die Welt beherrschen

wird, vorausgesetzt, daß es zu keinem atomaren Krieg kommt. Wir haben nach Sternbergs Auffassung zum erstenmal Weltgeschichte auf unserem Planeten, und für diese neue Periode ist es charakteristisch, daß zum erstenmal in der Geschichte alle die so verschiedenen Staaten und Nationen voneinander wissen und sich im politischen, wirtschaftlichen und soziologischen Raum direkt und indirekt immer stärker wechselseitig beeinflussen. In dieser „pluralistischen Weltgeschichte“ sieht Sternberg auch große positive Möglichkeiten für Europa, das zwar nicht neuerlich Zentrum der Weltgeschichte werden, jedoch zu einer neuen Position gelangen kann. Die Transformationsprozesse der europäischen Gesellschaft müssen, wie der Autor ausführt, von einem wirklich großzügigen Hilfsprogramm für die ehemaligen Kolonien und alle potentiellen Entwicklungsländer begleitet sein. Dabei geht es um mehr, als um bloß ökonomische Hilfe. Die europäischen Nationen müssen den Asiaten und Afrikanern als Partner nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung gegenübertreten. Europa besitzt für diese Aufgabe nicht nur die wirtschaftlichen Mittel, sondern auch die qualifizierten Menschen und die geistigen Grundlagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung