Neue Weltordnung: Globale Ordnungsstifter
Der Nahost-Krieg ist Teil des Ringens um eine neue internationale Ordnung. Der Westen steckt wie in der Ukraine im Konflikt mit autoritären Mächten.
Der Nahost-Krieg ist Teil des Ringens um eine neue internationale Ordnung. Der Westen steckt wie in der Ukraine im Konflikt mit autoritären Mächten.
Der neue Nahost-Krieg ist ein weiteres Anzeichen einer zerfallenden Weltordnung. Zerplatzt ist die mit der Zeitenwende von 1989/1991 verbundene Hoffnung, dass eine globale Ordnung entstehen könnte, die von Kooperation und nicht von Konfrontation bestimmt wird. Wir leben wieder in einer Welt der Konflikte und der Kriege.
Für illusionär hält der Politikforscher Herfried Münkler die Annahme, dass es eine Rückkehr zu einer regelbasierten Weltordnung westlicher Werteprägung geben könnte. Denn die USA sind nicht mehr imstande, wie bisher als Hüter der globalen Ordnung aufzutreten. Amerika ist bei dem Versuch, die Demokratie mit militärischen Mitteln in die arabisch-islamische Welt zu exportieren, komplett gescheitert und hat dadurch enorm an politischer Reputation eingebüßt. Russland versteht sich inzwischen als revisionistische Macht, die Europas Friedensordnung umstoßen will. China ist zum neuen Gegenpol der USA geworden und erhebt den Anspruch, zum Weltführer zu avancieren. Die internationale Politik ist deswegen geprägt von der geopolitischen Konkurrenz großer Mächte, die erbittert um Einflusszonen ringen. Statt einer westlichen Weltdominanz bildet sich ein multipolares System mit verschiedenen Zentren heraus, wie Münkler in seiner Studie „Welt im Aufruhr“ (Rowohlt-Verlag, Berlin 2023) zeigt.
Ulrich Menzel sieht die Welt in einer gefährlichen Übergangsphase: Die USA können nicht mehr der globale Ordnungsstifter sein. Aber China ist noch nicht potent genug, um Amerikas Rolle zu übernehmen. Die Konsequenz ist, „dass die Anarchie der Staatenwelt zurückkehrt“. In seinem Buch „Wendepunkte“ (Suhrkamp-Verlag, Berlin 2023) schildert der Politologe ein bedrohliches Szenario: Sollte China, gestützt auf andere autoritär geführte Staaten wie Russland und den Iran, tatsächlich die globale Regie an sich reißen, könnte die liberale Weltordnung von einer autoritären Weltordnung abgelöst werden.
Antiwestliche Stimmung
Der Gaza-Krieg verschärft die Konfrontation zwischen Demokratien und Autokratien. Dass der transatlantische Westen aus US-Amerika und Europa nach der Ukraine nun durch Nahost massiv in Anspruch genommen wird, spielt Russland und China in die Hände. Russland profitiert von der Eskalation des Konflikts, weil sie Aufmerksamkeit und Ressourcen von der Ukraine abzieht. China quittiert mit Genugtuung, dass sich die USA von der Idee verabschieden müssen, künftig alle Kraft in die Auseinandersetzung mit Peking zu stecken.
Der Gaza-Krieg vertieft die Kluft zwischen dem Westen und der Mehrheit der Staatenwelt. Die westlichen Demokratien stehen auf der Seite Israels, der Globale Süden hingegen solidarisiert sich überwiegend mit den Palästinensern. Die Entfremdung zwischen dem Westen und dem „Rest der Welt“ hat sich schon im Fall Ukraine gezeigt: In den Vereinten Nationen hat zwar eine große Mehrheit Russlands Aggression verurteilt. Aber nur eine Minderheit hat die westlichen Sanktionen gegen Russlands Rechtsbruch mitgetragen. Bei der Abstimmung über Nahost gab es in den Vereinten Nationen jetzt eine große Mehrheit für eine Resolution, die den Überfall der terroristischen Hamas-Miliz auf Israel gar nicht erwähnt, durch den der jüngste Krieg erst ausgelöst worden ist.
Der Globale Süden blickt offenbar ganz anders auf den Nahen Osten als der politische Westen: Die transatlantischen Partner nehmen Partei für Israel, das als einzige Demokratie in Nahost ein Schutzraum für Juden aus aller Welt sein soll. Die Länder mit eigener Kolonisierungserfahrung hingegen betrachten die Palästinenser primär als Opfer einer „kolonialen“ Landnahme durch Israel. Die lange Vorherrschaft der Europäer und US-Amerikaner hat im Globalen Süden eine starke antiwestliche Stimmung erzeugt, die Russland und China als Rivalen des Westens heute für ihre Propagandazwecke einsetzen können.
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