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Olaf Scholz und seine passive Rolle im Ukraine-Konflikt

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Aus Angst, angreifbar zu werden, macht sich Olaf Scholz angreifbar. Fürchtet er die atomare Eskalation? Über einen deutschen Kanzler, dessen Passivität augenfällig wird.

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Aus Angst, angreifbar zu werden, macht sich Olaf Scholz angreifbar. Fürchtet er die atomare Eskalation? Über einen deutschen Kanzler, dessen Passivität augenfällig wird.

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Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Ausreden – das Agieren des deutschen Kanzlers lässt sich in Bezug auf seine Ukraine-­Politik in diesem Satz zusammenfassen. Was Olaf Scholz wirklich will, weiß allerdings niemand so recht. Vermutlich nicht einmal er selbst. Wird er danach gefragt, verliert er sich in inhaltsleeren Phrasen. Klare und entschiedene Antworten erhofft man sich vergebens. Das mutet vor allem deswegen merkwürdig an, weil Scholz seinen Wahlkampf 2021 mit dem Slogan bestritt: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie.“

Der Spott ließ nicht lange auf sich warten: Von „Führung bestellt, nicht geliefert“ (Die Zeit) über „Führung bestellt, Scholz bekommen“ (Welt) bis hin zu „Einmal Führung bitte, Herr Bundeskanzler!“ (Berliner Kurier) werden viele deutsche Medien dieser Tage nicht müde, den Widerspruch innerhalb der Scholzʼschen Inszenierung aufzuzeigen. Laut Stuttgarter Nachrichten entstehe mittlerweile sogar der Eindruck: „Je wichtiger die Frage, desto unsicherer der Kanzler.“

Dass die deutsche Rolle in der Ukraine-Frage brisant ist, daran besteht kein Zweifel. Aus Angst, sich angreifbar zu machen, macht sich Scholz angreifbar. Seine Lage spitzt sich ausgerechnet seit seiner vielbeachteten Zeitenwende-Rede zu, die drei Tage nach der russischen Invasion stattgefunden hat. Damals brach er mit dem deutschen Tabu „Keine Waffen in einen Krieg gegen eine Atommacht“ und sagte Waffenlieferungen an die Ukraine zu. Ein Versprechen, das die deutsche Regierung hinterher nur halbherzig umsetzte. Offiziell wurde der Prozess durch die langsamen Mühlen deutscher Bürokratie verzögert. Inoffiziell versuchte man, Zeit zu schinden. Der ukrainische Botschafter in Berlin reagierte auf dieses Vorgehen angesichts des Massensterbens in seiner Heimat außergewöhnlich scharf.

Der brüchige Ampelfrieden

Was genau und wie viel wurde letzten Endes an die Ukraine geliefert? Darüber herrschte lange Rätselraten. Erst jetzt kursiert eine Liste, die die Deutsche Presseagentur von ukrainischen Regierungskreisen zur Verfügung gestellt bekommen hat: Demnach erhielt Kiew mittlerweile gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre, 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen, 100.000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition für Handfeuerwaffen – vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr. Bedeckt hält sich das Kanzleramt in Bezug auf die immer lauter werdende Forderung Wolodymyr Selenskyjs, auch Kampfpanzer, Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe zu liefern. Das wiede­rum stiftet enormen Unfrieden in der Ampel. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und FDP-Chef Christian Lindner fordern längst offensiv die Lieferung sogenannter schwerer Waffen. Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), warf dem Kanzler angesichts seines Zauderns mehrfach eklatante Führungsschwäche vor.

Scholz bezog mittlerweile Stellung. Allerdings befeuerte er dadurch die Kritik an seiner Person, anstatt sie zu entschärfen. So erklärte er, dafür zu sein, Panzer oder Artilleriegeschütze aus NATO-Ländern an die Ukraine zu schicken – jedoch nur, wenn das NATO-Land nicht Deutschland heißt. Freilich tat dies Scholz nicht unmissverständlich, sondern in gewohnt schleierhafter Manier kund. Vielleicht ist es sogar seine (gewollt) unpräzise Art, sich auszudrücken, die ihm so übelgenommen wird. Die Haltung des deutschen Kanzlers ist weniger grotesk, als es den Anschein erweckt. Tatsächlich ist sie durchaus legitim. Wer einen Eid leistet, „Schaden vom deutschen Volk“ abzuwenden, muss antizipieren, welche Konsequenzen die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine mit sich bringen kann. Das Hauptargument: Putin könnte Deutschland zur Kriegspartei erklären. Freilich hätte das Putin ohnehin längst tun können.

Aber die Causa „schwere Waffen“ sehen Verteidigungsberater als möglichen Wendepunkt. Wie plausibel das ist, darüber scheiden sich die Geister. Es für gänzlich unwahrscheinlich zu erklären, wäre angesichts der russischen Willkür definitiv fahrlässig. Ganz besonders perfide ist, dass die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios steigen dürfte, wenn es die Ukraine vermag, der russischen Übermacht standzuhalten, und sich Putin erst recht in die Ecke gedrängt fühlt. Und das hätte wiederum zur Folge, so argumentieren einige Militärs, dass die Gefahr für einen Atomkrieg in Europa steigt.

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