Eine Demokratie der kleinen Schritte

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Nach dem Chaos, das den unfreiwilligen Abgang von Diktator Suharto begleitete, wurde für die Parlamentswahlen das Schlimmste befürchtet. Das lange Warten auf erste Auszählergebnisse nährte den Verdacht, dahinter unsaubere Machenschaften zu wittern.

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Nach dem Chaos, das den unfreiwilligen Abgang von Diktator Suharto begleitete, wurde für die Parlamentswahlen das Schlimmste befürchtet. Das lange Warten auf erste Auszählergebnisse nährte den Verdacht, dahinter unsaubere Machenschaften zu wittern.

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Nein, mit Betrug hat das nichts zu tun. Es fehlt einfach die Erfahrung", sagt ein führendes Mitglied der indonesischen Wahlkommission. Und ergänzt: Unter Suharto wurde das Wahlergebnis schließlich verkündet, bevor die Stimmen ausgezählt waren." Noch für den Abend des 7. Juni war ein erstes Zwischenresultat zugesagt worden. Drei Wochen später waren die Hunderttausenden im Schnellverfahren ausgebildeten Wahlhelfer weiter am zählen.

Am Grundtrend dieser ersten demokratischen Wahlen in 44 Jahren aber änderte sich nichts: Die Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P) von Megawati Sukarnoputri lag beständig bei knapp über 36 Prozent, gefolgt von der Partei des Nationalen Erwachens (PKB) des gemäßigten Muslimführers Abdurrahman Wahid und der langjährigen Regierungspartei Golkar, die mit zwischen 17 und 23 Prozent um Platz zwei und drei rangen.

Damit bestätigte sich auch, was vor dem Urnengang prophezeit worden war: Keine einzige Gruppierung habe eine Chance auf die absolute Mehrheit, hieß es da, eine Koalition sei unabdingbar und um das Präsidentenamt, die bei weitem wichtigste Funktion im Land, werde es ein Gerangel geben.

Soll, unabhängig vom Geschlecht, das beste (sprich an Wählerstimmen reichste) Kind Indonesiens Staatschef werden? Oder wäre die Bestellung einer Tochter des Landes, selbst wenn sie zugleich die des Staatsgründers und ersten Staatschefs des unabhängigen Indonesien, Sukarno, ist, unpassend für ein zu 90 Prozent muslimisches Land?

Radikale Muslime Der Streit über diese vor allem für radikale Muslime existentielle Frage begann schon vor dem Urnengang. Megawati sei umgeben von Angehörigen der kleinen chinesischen Minderheit, die lediglich vier Prozent der Bevölkerung ausmacht, aber die Wirtschaft dominiert, hieß es warnend in islamistischen Publikationen. Zweifelsohne trifft zu, daß einige enge Berater Megawatis ethnische Chinesen sind, und sie selbst säkular eingestellt ist.

Die "orang kecil" oder "kleinen Leute", die Megawatis Kampagne in ein farbenfrohes Volksfest verwandelten, haben damit offenkundig kein Problem. Zugleich aber haben sie auf die Bestellung des Staatsoberhauptes nur begrenzten Einfluß, da dieses von der sogenannten Beratenden Volksversammlung gewählt wird, der neben den 500 Parlamentariern weitere 200, von Regionalparlamenten und Berufsvertretungen bestimmte Mitglieder angehören. Allein im Parlament sitzen 38 Militärs, sollten sie sich mit Abgeordneten von Golkar und anderer kleinerer Gruppierungen zusammenschließen, könnten sie immer noch Megawati und deren potentielle Koalitionspartner, allen voran Wahids PKB, ausbooten, zunächst die Regierung bilden und dann einen Mann ihrer Wahl zum Präsidenten küren.

Unabhängig davon, wie die politischen Deals der kommenden Monate ausgehen, steht schon jetzt fest: Der radikale Bruch mit der Vergangenheit, den die Studenten bereits vor dem Rücktritt von Langzeitdiktator Suharto im Mai des Vorjahres einforderten, wird so nicht passieren.

Dynastie unerwünscht "Die Transformation Indonesiens in Richtung einer vollwertigen Demokratie wird viel langsamer vor sich gehen, als wir es gerne sehen würden", sagt der Dichter und Publizist Goenavan Mohamad. Das Wahlresultat belegt für ihn eine "sehr konservative" Einstellung der Menschen. "Vielleicht ist es ja besser, einen kleinen Schritt nach dem anderen zu tun", gibt Goenavan zu. "Vielleicht werden dann bei den nächsten Wahlen die wirklich ausgewiesenen Demokraten siegen."

Vorerst aber bereitet ihm und anderen Intellektuellen der Personenkult um Megawati Sorge. "Wir benötigen starke Institutionen, nicht eine Dynastie", sagt der Herausgeber des angesehenen Wochenmagazins "Tempo", das, wegen seiner kritischen Berichte 1994 von Suharto geschlossen, seit einem Jahr wieder erscheinen kann.

"Staatsgründer Sukarno ist zu einer mythischen Figur geworden", sagt Goenavan. "Und je mehr Suharto die Erinnerung an seinen Vorgänger zu unterdrücken versuchte, umso mehr stieg der in der Achtung der Indonesier." Dies, obwohl die Ära Sukarno (1948-65) von politischer Instabilität und ökonomischer Krise geprägt war und der erste Staatschef schließlich sein Experiment mit der Demokratie zugunsten eines vom Militär gestützten autokratischen Regimes abbrach.

Von der Aura des Vaters lebt nun auch die Tochter. "Doch nicht nur davon", betont die Wissenschaftlerin und Frauenrechtsaktivistin Karlina Leksono. In die Politik geholt wurde die Hausfrau und Mutter Megawati in den 80er Jahren zwar wegen ihrer Herkunft. Die Demokratische Partei (PDI), eine von nur zwei zwecks demokratischer Fassade zugelassene sogenannten Oppositionsparteien, wollte einen zugkräftigen Namen. Doch Megawati ließ sich alsbald zu Kritik am System hinreißen und wurde auf Intervention Suhartos im Frühsommer 1996 als Chefin der PDI abgesetzt. Schwere Unruhen waren die Folge. Megawatis Anhänger gründeten die PDI-P und Megawati selbst, so Leksono, "wurde zum Symbol des politisch unterdrückten Volkes". Rückblickend wird heute die These vertreten, daß die Absetzung Megawatis 1996 der Anfang vom Ende Suhartos war.

Wenn radikale Demokraten der Sukarno-Tochter heute ihre Bedecktheit vorwerfen - was, bitte, ist denn nun wirklich ihr Programm, die Frau deklariert sich ja nicht, heißt es da -, dann sehen andere gerade in Megawatis verbaler Zurückhaltung ihre Größe. Geschwätzigkeit laufe der javanischen Kultur zuwider, heißt es. Kompetente Mitarbeiter in Sachen Ökonomie und Recht hat sie zudem.

So wenig sich Leksono von einer Präsidentin Megawati feministische Impulse erwartet, so wenig rechnet Goenavan mit einer Beschneidung der Rolle der Armee oder einer Verfassungsreform. Als Tochter des Unabhängigkeitskämpfers Sukarno, sagt der Politologe Arbi Sanit, steht Megawati dem ebenfalls um die Unabhängigkeit von den Holländern verdienten Militär nicht so kritisch gegenüber. Arbi Sanit sieht in der fest verankerten Doppelfunktion des Militärs, dem neben seiner Verantwortung für die Sicherheit des Landes ausdrücklich eine politische Rolle garantiert wird, "eine Gefahr für die Demokratie".

Als zweite große Gefahr sehen Politologen die Verfassung selbst, die keine ausreichenden Mechanismen für Gewaltenteilung und Kontrolle enthalte und somit, sagt ein Experte, "ein Rezept für die Diktatur ist". Mit Verfassungsänderungen sei es daher nicht getan, man benötige ein neues, demokratisches Grundgesetz.

Und weil wir schon bei den Forderungen sind: Das Staatsoberhaupt solle vom Volk gewählt werden, verlangen überzeugte Demokraten; Indonesien müsse dezentralisiert werden, denn wenn die Regionen weiterhin von Jakarta nur als Lieferanten von Bodenschätzen ausgebeutet werden, wird das die sezessionistischen Kräfte in mehreren Landesteilen stärken. Und Indonesien benötigt nach der Finanzkrise ein neues Entwicklungsmodell ohne Korruption, Kollusion und Nepotismus - kurz KKN: Das Akronym gilt heute als Kurzdefinition der Ära Suharto.

Friedliche Indonesier Leute wie Goenavan wissen aber, daß sie sich noch gedulden müssen. "Ein großer Schritt nach vorne wäre es schon, wenn aus den Wahlen wirklich eine vom Volk legitimierte Regierung hervorgeht", sagt der Dichter. Allein diese demokratischen Wahlen erleben zu dürfen, war für ihn "einfach wunderbar".

Das schlimmste hatten aus- und inländische Experten vorausgesagt und vor einem Blutvergießen in dem Inselarchipel mit seinen 210 Millionen Einwohnern und mehr als 300 ethnischen Gruppen gewarnt. Dann ging die Kampagne weitgehend friedlich über die Bühne. Es kam am Wahltag selbst nur zu wenigen Zwischenfällen.

Der Schluß daraus? "Wenn die Armee das nächste Mal Friede in den Straßen haben will, dann soll sie sich einfach fernhalten", sagt Goenavan in Anspielung auf die Welle der Gewalt zu Beginn des Jahres, hinter der Provokateure aus dem Militär vermutet wurden. "Wir Indonesier", sagt Goenavan, "sind nämlich kein gewalttätiges Volk."

Die Autorin ist "Standard"-Redakteurin und diesjährige Hauptpreisträgerin des "Herta-Pammer-Preises" der katholischen Frauenbewegung Österreichs, der alle zwei Jahre für außergewöhnliche journalistische Leistungen im Bereich der frauenspezifischen, entwicklungspolitischen Berichterstattung verliehen wird.

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