"Indonesien - ein total zerrissenes Land"

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Tausende Menschen sind auf den zu Indonesien gehörenden Molukken-Inseln seit Anfang des Vorjahres ums Leben gekommen, hunderttausende geflüchtet. Dieser Religionskrieg zwischen Christen und Muslimen ist eine Folge der Zerrissenheit Indonesiens nach der Suharto-Diktatur. Viele vermuten Militärs hinter dem Konflikt. Auch der neue Präsident Abdurrahman Wahid erhob solche Anschuldigungen.

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Tausende Menschen sind auf den zu Indonesien gehörenden Molukken-Inseln seit Anfang des Vorjahres ums Leben gekommen, hunderttausende geflüchtet. Dieser Religionskrieg zwischen Christen und Muslimen ist eine Folge der Zerrissenheit Indonesiens nach der Suharto-Diktatur. Viele vermuten Militärs hinter dem Konflikt. Auch der neue Präsident Abdurrahman Wahid erhob solche Anschuldigungen.

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die furche: Die Molukken kommen kaum mehr zur Ruhe, Hunderte sind in den letzten Wochen wieder ums Leben gekommen. Militante Muslime rufen nach einem Jihad, einem Heiligen Krieg. Wie groß ist die Gefahr für die Christen, die weniger als zehn Prozent der 210 Millionen Indonesier stellen?

Frans-Magnis Suseno: Die Krise in den Molukken ist extrem ernst und kompliziert. Lassen Sie mich zunächst einen kurzen Überblick geben. Das hat vor eineinhalb Jahren in Ambon angefangen mit einem kleinen Konflikt zwischen einem protestantischen Taxifahrer und einem muslimischen kleinen Gangster, sich dann aber sofort ausgeweitet auf die beiden Gemeinden. Der Muslim hat die Leute aus seinem Kampung (Dorf, Wohnbezirk) gerufen und die haben den Kampung des Taxifahrers attackiert, dann ging es umgekehrt. Das hat in Ambon zu fürchterlichen Zerstörungen geführt. Dann sind klar umrissene Gebiete entstanden - Christen, vor allem Protestanten, da, Muslime dort -, wo niemand von der anderen Seite mehr rein konnte. Das hat sich immer wieder beruhigt und neu entzündet und sich vor allem auch in den Norden der Molukken ausgeweitet.

die furche: So ein Geschehen hat doch sicher tieferliegende Ursachen...

Suseno: Dahinter steht eine ständig wachsende Frustration der Einheimischen mit den Zugereisten und der Protestanten mit den Muslimen. Früher waren die Molukken mehrheitlich protestantisch - Katholiken gibt es nur wenige. Die Muslime waren jedoch nur knapp in der Minderheit. Beide Gruppen haben recht und schlecht zusammen gelebt. Ab den siebziger Jahren kam es zu einer starken Einwanderung vor allem von Buginesen. Das sind die seefahrenden Bewohner von Südsulawesi, die in ganz Ostindonesien die Märkte beherrschen. Die Protestanten hatten Angst, sie könnten nun in ihrer Region in die Minderheit geraten. Bei dem jetzigen Konflikt ging es zunächst auch gegen die Buginesen, von denen in der Folge einige Hunderttausende zu Flüchtlingen wurden. Sehr schnell hat sich das aber auf die religiöse Ebene übersetzt, sodass es zu einer Art Bürgerkrieg zwischen Christen, vor allem Protestanten, und Muslimen kam.

die furche: Hatte der Konfikt zunächst nicht andere als religiöse Wurzeln, nicht nur in Ambon, sondern auch anderswo auf den Molukken?

Suseno: Ja, auf jeder einzelnen Insel ist die Lage auf ihre Art komplex. Nehmen wir Halmahera, da gibt es eine Goldmine im Gebiet von zwei protestantischen Stämmen, die möglicherweise enorm viel Geld abwerfen könnte. Vor 20 Jahren wurde ein islamischer Stamm von der Regierung von einer anderen Insel in dieses Gebiet verlegt. Er hat sich der Mine bemächtigt. Nun haben die Christen zurückgeschlagen. Anfang des Jahres wurden dort 900 Muslime von Protestanten massakriert, die islamischen Zeitungen sprachen von 4.000. Das hat bei den Muslimen die Emotionen aufs Höchste geschürt. Danach ist der Ruf vom Jihad besonders laut geworden. Was man jedenfalls unbedingt vermeiden muss, ist das darzustellen als die große islamische Aggression. Davon kann keine Rede sein, zeitweise geht es vor allem gegen Christen, aber dann auch wieder umgekehrt.

die furche: Befürchten Sie eine Entwicklung hin zu einer generellen Radikalisierung des Islam in Indonesien?

Suseno: Radikalisierung ist zu stark gesagt, aber die radikalen Kräfte bekommen Auftrieb. Andererseits muss man sagen, dass die offiziellen Organisationen da nicht mitspielen, schon gar nicht die Nahdlatal Ulama (NU, die mit rund 40 Millionen Anhängern größte muslimische Organisation des Landes, Anm.) von Präsident Wahid. Das ist ein persönliches Verdienst von Wahid, der es seit Jahren mitbekommen hat, dass die Beziehung zwischen den traditionellen Muslimen und den Christen viel besser geworden sind. Die sehen inzwischen diese Kampagnen als Versuch an, Wahid zu stürzen und sind daher eigentlich mehr auf der Seite der Christen, zumindest sind sie sehr kritisch gegenüber den radikalen Muslimen. Sie glauben, das geht aus von Leuten, die zeigen wollen, dass Wahid das Land nicht in der Hand hat. Das wäre natürlich das Militär.

die furche: Welche Vorstellungen aber haben die radikalen Gruppen von einem künftigen Indonesien? Wollen sie ein Regime wie im Iran?

Suseno: So weit nicht. Zunächst geht es ihnen einfach darum, dass das Land von "echten" Muslimen regiert wird und nicht von Leuten wie Vizepräsidentin Megawati. Sie wollen den christlichen Einfluss ausschalten, der meiner Meinung nach längst nicht mehr vorhanden ist, aber sicher in den ersten zehn bis 20 Jahren der sogenannten Neuen Ordnung von Suharto beträchtlich war. Es stimmt natürlich auch, dass die Neue Ordnung keine islamisch-politischen Aspirationen irgendeiner Art beachtet hat und dass Christen sie dabei unterstützt haben.

Ein Islamstaat steht nicht auf dem Programm, obwohl es Sympathien gibt. Sie wollen eine mehr islamische Gesellschaft, wo einige Sharia-Bestimmungen ins nationale Recht aufgenommen werden. Doch nicht die Sharia als solche, da wäre der Widerstand selbst bei den sogenannten echten Muslimen viel zu groß. Aber natürlich sind das Leute, die alle für eine Radikalisierung in Frage kommen.

die furche: Und droht eine solche Radikalisierung?

Suseno: Im Moment ist das, glaube ich, ganz ausgeschlossen mit Präsident Wahid. Hinter der NU und hinter Megawati (deren Demokratische Partei des Kampfes bei den nach 44 Jahren ersten demokratischen Wahlen 1999 mit 34 Prozent der Stimmen stärkste Kraft wurde, Anm.) stehen an die 60 Prozent der Bevölkerung.

die furche: Um verheerende Unruhen anzustiften, genügen freilich wenige. Wie schlimm kann es noch werden?

Suseno: Nehmen wir Lombok: Jene, die geflohen sind, sagen, am Konflikt schuld waren bezahlte Leute, die von auswärts gekommen sind. Von 10.000 Rupien war die Rede. Natürlich ist dann auch immer ein Mob da, der mitmacht. Bei dem Progrom in Westjakarta vor 1,5 Jahren war ganz klar, dass die eigentliche Gewalt nicht von den Kampungs aus ging, sondern von Islamisten von außerhalb. Das war logistisch hervorragend organisiert. In so einer Situation kommt es auf die schlagenden Truppen an, wenn sie 20.000 Leute haben, die systematisch Radau machen, die anderen trauen sich nicht, das Militär greift nicht ein, dann reicht das schon. Da muss keine Mehrheit dahinter stehen.

Der Konflikt zwischen Christen und Muslimen ist ein gefährlicher Spezialfall einer totalen Zerrissenheit der indonesischen Gesellschaft. Mehr als drei Jahrzehnte mussten Konflikte, ob religiöser, ethnischer oder regionaler Natur, unter Suharto tot geschwiegen werden. Nun brechen sie auf.

die furche: Wird die Dezentralisierung des Staates, die von vielen als einzige Chance angesehen wird, kommen und zur Entspannung beitragen können?

Suseno: Das Land ist tatsächlich total zerrissen. Sie haben überall eine Gewaltkultur, kleinste Streitereien führen zu Gewalt und werden kommunalistisch, das heißt, die beiden Streitenden gehen in ihre Kampungs und bringen ihre Leute mit. Sie haben in Jakarta Kampungs, die in Kriegszustand miteinander sind. Sie haben Dörfer im Kriegszustand miteinander. Sehr oft stehen auf beiden Seiten Muslime. Wenn aber zufällig der eine ein Christ und der andere ein Muslim ist, dann hat man einen Religionskrieg. Das Gefährliche am Religionskrieg ist die um vieles größere Dimension als bei einem Konflikt zwischen zwei regionalen Ethnien.

Ich glaube, dass wir jetzt erst erkennen, wie schwierig es ist, eine so vielfältige Gesellschaft in einem Staat zusammenzuhalten. Das haben wir von Suharto gelernt: Er übernahm (1965/66) ein Land, das ideologisch gespalten war. Er und das Militär wollten diese Spaltung weg kriegen, haben daher das politische Leben lahm gelegt und eine Entwicklung von oben angeordnet. Man durfte über Konflikte nicht reden. Der Versuch ist in den Eimer gegangen. Wir haben daher auch gar keine Alternative zur Demokratie. Eine Militärherrschaft ist ausgeschlossen, das Militär kann nicht einmal vier der 26 Provinzen beherrschen.

die furche: Indonesien braucht Demokratie und Dezentralisierung. Wird die gelingen?

Suseno: Sie muss gelingen. Trennung ist keine Alternative, es gibt ja keine sauberen geographisch-ethnischen Einheiten. Wollte man das trennen, es würde zu den schlimmsten Pogromen führen. Etwa 20 Prozent der Indonesier leben nicht in ihren ursprünglichen Gebieten, das hieße horrende 42 Millionen Vertriebene. Selbst wenn es nur zehn Millionen wären ... Nein, wir müssen dezentralisieren, wissen aber noch nicht, wie wir dann vermeiden können, dass etwa stärkere Regionen die Sharia verhängen oder gegen andere Ethnien zumachen. Wirklich, wir sind am Anfang.

Das Gespräch führte Brigitte Voykowitsch Zur Person Jesuit und politischer Kommentator Der in Deutschland geborene Jesuitenpater und Philosoph Frans Magnis Suseno lebt seit Jahrzehnten in Indonesien und lehrt an der Philosophischen Jesuitenhochschule Driyarkara in der Hauptstadt Jakarta. Zugleich ist er einer der am meisten geschätzten politischen Kommentatoren des Landes. Seine Analysen und Interviews erscheinen in zahlreichen Printmedien, auch, wie Suseno lachend erzählt, in einigen mit durchaus islamistischer Ausrichtung. "Aber solange mein Text korrekt abgedruckt wird, sehe ich keinen Grund, ihn solchen Publikationen so verweigern," sagt Suseno. Sein Buch "Leben im Marxismus" ist heute begehrte Lektüre, nachdem es unter dem mehr als drei Jahrzehnte währenden Regime Suharto (bis 1998) nicht hatte veröffentlicht werden können.

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