Wahlkampf hat wieder Saison

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Wüsste man nicht um den tieferen Grund, man hielte es für ein Wunder: Die Wiener Volkspartei etwa wechselt zwar die Führung, erspart sich und anderen jedoch die üblichen, sich über Monate hinziehenden und ergebnislosen Intrigen. Und Wiens Bürgermeister Michael Häupl, in den letzten Jahren gar nicht mehr so leutselig unterwegs, zeigt neuerlich intensive Präsenz auf vielen Ebenen. In Spitälern, auf Fußballplätzen und unter Intellektuellen sowie Journalisten. Diese Vorgänge sind eben keine Wunder, sondern die Vorboten eines jetzt einsetzenden Wahlkampfes, dessen Folgen weit über den Austragungsort hinausgehen werden.

Der neue Wähler ist unberechenbar

Es sind die fundamentalen Veränderungen auf zwei Ebenen, die den Wiener Wahlkampf zu einem wichtigen, spannenden Wettbewerb machen könnten: Die neuen Themen und die neue Mobilität der Wählerschaft.

Der Ausgang der Wahl ist in höchstem Maße unberechenbar: Die Hochburgen von Parteien sind eingestürzt, die alten Loyalitäten sind verloren gegangen, die Wähler sind aufgesplittert. Arbeitsteilige Wirtschaft, pluralistische Gesellschaft und nicht zuletzt die Digitalisierung von Information, Unterhaltung und Zielgruppenansprache haben die Gesellschaft weitestgehend segmentiert und fragmentiert. Die Wähler sind, so zeigen es jüngste Forschungen, hoch mobil und zudem in die politische Mitte gerückt. Die Strategen in den Parteien wissen kaum noch, wie sie ihr Klientel flächendeckend erreichen, wo der harte Kern der Stammwähler geblieben ist und wie die erhofften neuen Wähler zu erreichen sind. Oder müssen auch schon die Debatten zur Kommunalpolitik via Internet geführt werden?

Die Mobilität der Wähler, gerade jener in Wien, zeigen die Vergleiche jüngster Wahlergebnisse. Man nehme nur jene der Sozialdemokraten. Sie erhielten bei der EU-Wahl im Juni 2009 in Wien nur 140.000 Stimmen, bei der Nationalratswahl 2008 immerhin 292.000 Stimmen, bei der jüngsten Gemeinderatswahl 2005 sogar 334.000 Stimmen. Bei der Präsidentenwahl 2004 (die nur zwei Kandidaten kannte) kam Sozialdemokrat Heinz Fischer in Wien gar auf 461.000 Stimmen. Die niedrigste und die höchste Stimmenanzahl unterscheiden sich um den Faktor drei.

Es bleibt daher schwierig bis unlösbar, das Potenzial der Wiener Sozialdemokraten genau zu beziffern und die möglichen bzw. wahrscheinlichen SPÖ-Wähler zu finden. Viel wahrscheinlicher ist es da schon, dass die Wiener Sozialdemokraten zu den Mitteln eines flächendeckenden Wahlkampfes greifen, nicht zuletzt deswegen, um eine möglichst breite Mobilisierung auszulösen. Der neue Wähler ist unberechenbar und müde, dabei aber nicht das einzige Problem der Parteistrategen.

Neue Themen und heftige Emotion

Unter sachlichen Gesichtspunkten betrachtet wird sich der Wahlkampf in Wien, wir sagten es schon an dieser Stelle, vor allem um die Themen Ausländer und Integration, Kriminalität und Sicherheit drehen. In Wien leben 40 Prozent der ausländischen Wohnbevölkerung Österreichs. Mit einem Anteil von nahezu 19 Prozent an den Bewohnern hat Wien den höchsten Anteil an Ausländern aller österreichischen Gemeinden. Die historischen Höchstwerte früherer Jahrhunderte sind damit noch nicht erreicht. Aber die Menge ist groß genug, um die Versäumnisse an Integration bloßzulegen und radikalen, ausländerfeindlichen Populisten enorme Vorräte an Wahlkampf-Munition zu liefern.

In dieser Gemengelage könnte sich eine Häupl-Diktum erfüllen, wonach Wahlkämpfe eine Zeit „fokussierter Unintelligenz“ seien. Sollte es so kommen, wäre das kein Wunder, sondern hätte seinen Grund im Kampf um jede Stimme. Der wird hart geführt werden. Denn es geht um die Mehrheitsfähigkeit der Sozialdemokraten in diesem Land und um die Behauptungsfähigkeit der Volkspartei in einem urbanen Milieu. Das steht auf dem Spiel.

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