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Die Christen ah Ärgernis

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Das größte -Argument gegen das Christentum bilden die Christen selbst. Die Christen bedeuten einen Stein des Anstoßes für die Menschen, die zum Christentum zurückkehren möchten. Diese Tatsache wird in unserer Zeit oft mißbraucht. Heute, da der Glaube zu versiegen droht und der Unglaube eine allgemeine Verbreitung gefunden hat, pflegt man das Christentum nach den Christen zu beurteilen; in früheren Zeiten dagegen hat man das Christentum vor allem nach seinen ewigen Wahrheiten, nach seiner Lehre und seinen Dogmen gewertet. Unser Zeitalter ist aber von dem Menschen und dem, Menschlichen zu sehr beherrscht. Die schlechten Christen stellen das wahre Christentum in den Schatten. Ihre bösen Handlungen, ihre verdrehten Ansichten, durch die sie ihre Religion entstellen und verzerren, ihre Ausschreitungen, kurz — ihre ganze Haltung drängt sich dem Bewußtsein unserer Zeit auf und verdunkelt das Bild des echten Christentums. Die Mehrzahl unserer Zeitgenossen glaubt, daß die großenteils entarteten und oberflächlichen Anhänger des Christentums dessen wahre Vertreter sind. Das Christentum Ist eine Religion der Liebe, wird aber von den bösen und haßerfüllten Christen beurteilt. Das Christentum Ist eine Religion der Freiheit, wird aber nach den Gewalttaten der Christen bewertet, die sie im Laufe der Geschichte verübt haben. Die Christen kompromittieren ihren Glauben und werden zu einer Versuchung für die Kleingläubigen.

Nicht selten wirft man uns vor, daß die Vertreter anderer Religionen — Buddhisten, Mohammedaner und Juden — besser als die Christen seien, da sie die Gebote ihrer Religion in höherem Maße erfüllen. Man macht uns ferner auf die Ungläubigen, auf die Atheisten und Materialisten aufmerksam, die den Christen sittlich überlegen sind, ihr Leben in einem Idealistischeren Sinne gestalten und mehr als die Christen zur Selbstaufopferung bereit sind. In der Tat beruht die Unwürde vieler Christen eben darin, daß sie die Gebote ihrer Religion nicht erfüllen und daß sie diese umformen und entstellen. Aber nur eben darum, well die Forderungen des Christentums ein höheres geistiges Niveau haben, werden die Christen der Unwürde und der Unfähigkeit beschuldigt, sich auf dieses Niveau emporzuheben. Wie kann aber die Unwürde der Christen dem Christentum zur Last gelegt werden, wenn gerade die Entzweiung zwischen den Christen und ihrer Religion als Hauptargument gegen die unwürdigen Christen dient? Ohne Zweifel sind diese Beschuldigungen ein Widerspruch in sich selbst. Wenn die Anhänger anderer Religionen ihrem Glauben und dessen Gesetzen treuer sind, so doch nur darum, weil deren Gesetze leichter zu realisieren sind, die christlichen Gebote aber auf einer nur schwer erreichbaren Höhe stehen. Es ist viel leichter, ein Mohammedaner als ein Christ zu sein. Die Verwirklichung der Religion der Liebe ist unendlich schwierig; aber diese Religion verliert dadurch weder an Erhabenheit noch an Wahrheit. Christus trägt nicht die Verantwortung dafür, daß seine Religion in unserem Leben noch unvollendet und un-verwirklicht bleibt und seine Gebote durch seine sogenannten Adepten mißachtet werden.

Aus: „Von der Würde des Christentums und von der Unwürde der Christen“, Vita-Nova-Verlag, Luxem.

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