Werbung
Werbung
Werbung

Ein "Handbuch eines literarischen Systems" über Literatur in Österreich von 1938 bis 1945.

Lange Zeit standen die im "Dritten Reich" veröffentlichten Bücher und ihre Autoren unter einem generellen moralischen und ästhetischen Vorbehalt. Abgesehen von einzelnen, besonders skandalösen Fällen von politischer Verstrickung - genannt seien hier Mirko Jelusisch und Josef Weinheber - blieben weite Teile des ausgedehnten Felds der österreichischen Literatur im Nationalsozialismus unaufgearbeitet. Ab 1986 hat sich ein an der Universität Graz angesiedeltes Forschungsprojekt unter der Leitung von Uwe Baur und maßgeblicher Mitwirkung von Karin Gradwohl-Schlacher intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Nun ist der erste Band eines mehrteiligen Handbuchs erschienen, das in umfassender Weise Personen wie Institutionen des literarischen Lebens in Österreich in den Jahren zwischen 1938 und 1945 dokumentiert.

Biobibliografische Angaben zu nicht weniger als 900 Autoren wird die Handbuchreihe enthalten, deren Einzelbände als Personenlexikon mit literaturhistorischer Einführung konzipiert sind und sich jeweils einem der damaligen "Donau- und Alpengaue" widmen. Das Gesamtwerk soll von einem Institutionenlexikon abgeschlossen und vernetzt werden, in dem literarische Vereine, wissenschaftliche Einrichtungen, literaturpolitische Instanzen, Verlage und Theater, Anthologien und Periodika verzeichnet sind.

Was dieses "Handbuch eines literarischen Systems" bietet und wo seine Grenzen liegen, vermag der nun erschienene Auftaktband über die Steiermark zu demonstrieren. Die Auswahl der darin porträtierten 113 Schriftsteller enthält eine Typologie des Menschenmöglichen im NS-Literaturbetrieb: Autoritäten und Agenten des Systems (Paul Anton Keller, Josef Papesch), naive Anhänger (Hans Kloepfer) und Karrieristen der Partei (Manfred Jasser), Profiteure (Hans Bartsch) und Protegierte (Franz Nabl, Max Mell), politisch Umgefärbte oder schon immer Zuverlässige (Hans von Dettelbach, Rudolf List), unpolitisch Mitlaufende (Viktor von Geramb) und nach anfänglicher Begeisterung Nachdenkliche (Paula Grogger), nach dem "Anschluss" Ausgeschlossene (Rochus Kohlbach) und betont Widerständige (Herbert Schneider, Richard Zach).

Bleibenden Wert verleiht dem Handbuch das mit Akribie erarbeitete Verzeichnis der (un)selbständigen Publikationen; hier lässt sich finden, was im betreffenden Zeitraum - auch an entlegenen Stellen - veröffentlicht wurde. Erfasst ist dabei auch das Jahrfünft zwischen 1933 und 1938, um Brüche und Kontinuitäten zwischen dem Literaturbetrieb des "Ständestaats" und jenem des NS-Regimes zu dokumentieren.

Nicht nur die Werke enthalten eine geballte Kraft des Faktischen, sondern auch die Vielzahl der biografischen Daten, die in das Handbuch eingeflossen sind und zum überwiegenden Teil aus den NS-Personalakten im Bestand des ehemaligen Berlin Document Center (heute im Bundesarchiv in Berlin) sowie aus den so genannten Gauakten im Archiv der Republik in Wien stammen.

Diese Akten, etwa die Aufnahmeanträge für die Reichsschrifttumskammer, enthalten großteils Angaben, die von den Schriftstellern selbst gemacht wurden. Die Inhalte sind damit unzweifelhaft authentisch und zugleich quellenkritisch höchst sensibel, da es sich um selektive Informationen handelte, die stark interessegeleitet waren und auf eine Integration in den offiziellen Literaturbetrieb abzielten. Die Anteile von Dichtung und Wahrheit gilt es im Einzelfall genau zu bestimmen.

Erkenntnisgrenzen, -chancen

Ob es unter der öffentlichen, politisch gehärteten Rolle bei einzelnen Autoren nonkonformes, dissidentes Denken, Schreiben oder gar Verhalten gegeben hat, ist ein Arbeitsauftrag an jene, die das Handbuch als Impuls für weitergehende Forschungen nutzen. Die Lektüre der gesammelten biografischen Skizzen regt jedenfalls dazu an, Gewissheiten gegen den Strich zu bürsten und dabei manches Werk (neu) zu lesen. So ereignet sich Wissenschaft, und das wäre kein geringer Verdienst des hier angezeigten Grundlagenwerkes. Wie kaum sonst drängt eine Erkenntnis ins Bewusstsein, die Thomas Nipperdey formuliert hat: "Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster ist nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist Grau, in unendlichen Schattierungen."

Literatur in Österreich 1938-1945

Handbuch eines literarischen Systems. Bd 1: Steiermark,

Von Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher

Böhlau Verlag 2008

376 S., e 40,10

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung