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Ist die Kirche unpolitisch?

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Nur noch von wenigen wird heute angezweifelt, daß der vielgestaltige „Modernismus“ viele Fragen scharf gesehen und nicht wenige Lösungsversuche vorangetrieben hat. Die Aufgabe des Antimodernisteneides war ein deutlicher Ausdruck dafür. Es ist dem Verfasser des Buches „Aufbruch und Mißverständnis“. Oskar Schroeder, zu danken, die Geschichte des Modernismus und seiner milden Abart, des Reformkatholizismus, an Hand vieler nur wenig bekannter Dokumente so darzustellen, daß die Lektüre dieses fast 600 Seiten dicken Werkes kaum ermüdet.

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Nur noch von wenigen wird heute angezweifelt, daß der vielgestaltige „Modernismus“ viele Fragen scharf gesehen und nicht wenige Lösungsversuche vorangetrieben hat. Die Aufgabe des Antimodernisteneides war ein deutlicher Ausdruck dafür. Es ist dem Verfasser des Buches „Aufbruch und Mißverständnis“. Oskar Schroeder, zu danken, die Geschichte des Modernismus und seiner milden Abart, des Reformkatholizismus, an Hand vieler nur wenig bekannter Dokumente so darzustellen, daß die Lektüre dieses fast 600 Seiten dicken Werkes kaum ermüdet.

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Der Verfasser zeigt selbst auf, daß der Modernismus ein sehr komplexes Phänomen ist und aus einer theologisch-philosophischen, historischkritischen, praktisch-politischen sowie mystisch-idealistischen Komponente besteht.

In den folgenden Gedanken zu diesem Buch sei es mir gestattet, von der soziologischen Warte aus einige Bemerkungen zu versuchen. Damit gebe ich den Anspruch auf, die übrigen Komponenten, vor allem die theologischen, einzubeziehen. Oskar Schroeder, einer der profiliertesten Religionssoziologen, hat am 24. Mai 1966 im Westdeutschen Rundfunk einen Vortrag über die Ideologie in der Kirche gehalten. Unter Ideologie versteht er interessengebundene Erkenntnis. Vier Quellen solcher kirchlicher Ideologie führt er an: das Legitimationsbedürfnis der Gesellschaft; das Machtbedürfnis der religiösen Institutionen; die Interessen der kirchlichen Organisationen und der Amtsträger; die Konkurrenz zwischen den Religionsgemeinschaften. Die von O. Schroeder vorgelegten Dokumente lassen Ansätze solcher Ideologien eindeutig erkennen. Kirche und Gesellschaft hatten füreinander offenkundig ein Interesse. Ohne die Vermengiung der damaligen Kirche mit den bestehenden gesellschaftlichen Einrichtunigen wäre die Auseinandersetzung zwischen der amtlichen Kirche und Modernismus unverständlich. So aber entstand de¥* Modernismus genau an jener Stelle der Geschichte, wo die alten Formen (einer ständisch geordneten, mit den patriarchalischen Autoritätsformen versehenen) Gesellschaft und mit ihr vieles an der Kirche in den Wandel gerieten. Die neue, nicht mehr ständische, zur Demokratie strebende liberale Industriegesellschaft meldete sich an. Damit aber geriet auch der Standort der Kirche in der Gesellschaft in einen Wandlungsprozeß hinein. Es überrascht uns nicht, daß in diesem Wandlungsprozeß zunächst die Repräsentanten der alten Gesellschaftsordnung Protest erhoben. Sie waren daran interessiert, ihre alten Positionen zu bewahren. Es überrascht uns ebenso wenig, daß auch viele kirchliche Amtsträger nicht freiwillig ihre eingesessenen Positionen aufzugeben bereit waren. Zur Rechtfertigung dieser Positionen bedienten sie sich u. a. auch theologischer Aussagen: nicht zuletzt jener, daß demokratische Autoritätsformen der Kirche wesensfremd seien, daß es widergöttlich sei, die bestehende Ordnung in Frage zu stellen, daß ein kirchliches Lehramt selbst in politischen und sozialen Fragen jenseits der Kritik stehen müsse. Es überrascht uns schließlich nicht, daß bestehende weltliche Machtträger und kirchliche Kurialstellen sich in der (letztlich aussichtslosen) Verteidigung der in Frage gestellten Gesellschaftsordnung koalierten. Für den Religionssoziologen stellt somit der Modernismus einen artikulierten Protest gegen den überholten Standort der Kirche in einer neu werdenden Gesellschaft dar. Der Modernismus postuliert daher die Trennung der Kirche vom (alten) Staat. Er zeigt erbarmungslos die Ineffek-tivität einer solchen mit dem veralteten Gesellschaftssystem vermengten Kirche auf. Er kritisiert konsequenter Weise auch Theologu-mena, die als Rechtfertigung dieser überholten Positon der Kirche vorgebracht werden. Es lohnt sich, unter diesem Blickwinkel die faszinierend geschriebenen Biographien eines Lammenais, Loisy, Tyrell oder Boumaiuti zu lesen. Es gelingt dem Verfasser trefflich, im Leser einen unbehaglichen Groll gegen die intrigante und verketzernde Machtpolitik römischer Prälaten zu wecken. Die gezielte Auswahl der Dokumente garantiert diese Gemütsverfassung: Es ist keine wissenschaftliche Studie sine ira et studio. Sie will das auch gar nicht sein.

Je weiter man nämlich in der Lektüre dieses Buches voranschreitet, desto offenkundiger wird, worum es Schroeder geht. Er wirbt für die Idee des Modernismus, oder richtiger gesagt, eines Reformkatholizismus. Durch die historischen Studien und das so erzeugte Unbehagen ist der Leser auch genügend präpariert, leicht aufatmend ein reformkatholisches Memorandum vorzufinden, das endlich eine Lösung für das Dilemma einer Kirche bringt, die wegen ihrer alten Strukturen und theologischen Aussagen zum Rentnerdasein in der neuen Gesellschaft verurteilt ist.

Was hier aber tatsächlich geschieht, zwingt aumindesten den Soziologen zu grundsätzlichen Fragen. Wird nämlich nicht an die Stelle einer alten Ideologie eine neue gesetzt? Ohne Zweifel wird die Kirche nie ohne eine gewisse Angleichung an die jeweilige Welt, ihr Denken und Wollen, auskommen können. Sind aber im vorgelegten reformkatholischen Modell nicht bloß neue Interessen an die Stelle der alten gesetzt? Sind nicht bloß alte politische Interessen mit neuen — gleichfalls massiv politischen Interessen vertauscht worden?,,Zw*r_. werden, TcenmwngäYon Kirche und Politik, Kirche und Staat, Kirche und Schule, Kirche und soziale Frage (zu Recht) vehement gefordert. Die relative Autonomie dieser weltlichen Sachbereiche verlangt danach. Und doch wird zugleich nach einer politischen Theologie gerufen, nach einer Theologie der Revolution, also erneut nach einer unverhohlen politischen Tätigkeit der Kirche, die eben nicht nur im Klerus bestehe, sondern zwar schon in den Laien. Alte gesellschaftliche Strukturen werden mit Recht abgelehnt, neue ebenso unbekümmert postuliert. Altes philosophisches Denken wird als unbrauchbar verworfen, neues (ebenso gesellschaftsbedingtes) an seine Stelle gesetzt. Wir sind mit der Kirche am alten System sehr wohl einverstanden. Aber ist es nicht eigentümlich, daß im Prinzip genau dasselbe von vorne beginnt, was man eben zuvor abgelehnt hat? Munter wird von neuem die Kirche — jetzt eben mit der neuen Gesellschaft — verquickt. Aus einer (sicherlich gesellschaftlichen) religiösen Institution mit spezifischen Aufgaben (über deren Funktionen offenbar große Unklarheit besteht), wird erneut eine Einrichtung gemacht, die auf die Ebene der autonom gewordenen gesellschaftlichen Institutionen und so mit diesen in Konkurrenz tritt. Zumindest soll die Laienkirche wieder selbst politisch werden, und weil sie das als Kirche zu wenig wirksam wird, soll sie sich eben einer gesellschaftlich-politischen Richtung anschließen: einer liberalen oder einer sozialistischen — was letztlich nicht mehr viel zur Sache tut

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