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Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sollen belegen, dass Lügen ein Bestandteil sozialer Intelligenz ist.

Alle Menschen lügen. Es gibt wohl keinen Menschen, der von sich behaupten kann, noch nie gelogen zu haben. Trotzdem wird das Lügen allgemein als eine schlechte Eigenschaft angesehen, die es auszumerzen gilt. Der Wunsch nach Wahrheit mag seinen Ursprung in Erziehung, Gesellschaft, Religion und noch vielen anderen Aspekten haben. Von kleinster Kindheit sagt man uns: "Sag die Wahrheit, aber nicht um jeden Preis!" Oder: "Ehrlich währt am längsten, aber tu so, als würde dir das Geburtstagsgeschenk von der Oma gefallen!"

Kleinkinder, die gerade erst dabei sind ihre Umwelt kennenzulernen und sich ein Bild von der Welt zu machen, müssten angesichts derart widersprüchlicher Aussagen, die sie über die Definition einer Lüge eingebläut bekommen, ein völlig unklares und verschwommenes Bild davon haben, was nun eine Lüge ist und was nicht. Das liegt sicherlich auch daran, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Vorstellung davon hat, was Lügen eigentlich sind. Fallen etwa in den Bereich der Lügen die Kosmetik, zustimmendes Nicken (auch wenn man anderer Meinung ist) oder etwas essen (auch wenn es nicht schmeckt) - um jemanden nicht zu beleidigen, ebenso wie größere Betrügereien, bösartige Verleumdungen und Propagandalügen? Wenn, dann wäre es nur verständlich, dass sie eben durch Lügen selbst die Grenzen ausloten müssten. Aber spielen nicht - vor allem in unseren Breiten - auch die katholische oder evangelische Kirche entscheidende Rollen, die dieses verschwommene Weltbild zurechtrücken, indem sie den Menschen die prinzipielle Verwerflichkeit von Lügen veranschaulichen? Ist bei einer derartig weiten Definition eine gänzliche Ausmerzung von Lügen überhaupt denkbar?

Nicht bedauerlich

Vielleicht ist das Talent für subtile Finten und gerissene Betrügereien keineswegs eine bedauerliche Fähigkeit. "Ohne Täuschung und Irreführung wäre unser komplexes Beziehungsleben undenkbar", meint etwa der Philosoph David Nyberg. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sollen belegen, dass Lügen ein essenzieller Bestandteil unserer sozialen Intelligenz sei. Die Fähigkeit, Lügen zu erkennen, und die Perfektionierung der eigenen, könnten nach diesen Erkenntnissen sogar die Triebfeder für die stammesgeschichtliche Entwicklung dieser Intelligenz gewesen sein. Manche Experten sind der Auffassung, dass der Mensch die Vergrößerung seines Gehirns dem evolutionären Druck verdankt, immer raffinierter schwindeln zu müssen. Demnach müssten unsere haarigen Vorfahren diejenigen gewesen sein, die das Lügen wohldosiert einzusetzen wussten und so erfolgreicher im Überlebenskampf waren. Neue Befunde der Hirnforschung bestätigen jedenfalls, dass Lügen eine beachtliche intellektuelle Leistung darstellt. Untersuchungen Daniel Langlebens von der Pennsylvania School of Medicine mittels der funktionalen Magnetresonanztomografie haben gezeigt, dass sich die Aktivität in zwei bestimmten Hirnbereichen immer dann deutlich erhöhte, wenn die Versuchspersonen logen. Diese Bereiche bestimmen wesentlich mit, welche Gedächtnis-inhalte letztlich ins Bewusstsein gelangen. Der erste steuert die Aufmerksamkeit, der zweite ist die hemmende Instanz des Gehirns. "Offensichtlich muss man, um eine Lüge auszusprechen, etwas unterdrücken. Und dieses Etwas ist dann wohl die Wahrheit", so Daniel Langleben. Es liegt die Vermutung nahe, dass Aufrichtigkeit sozusagen der kognitive Normalzustand ist.

200 Mal täglich

Untersuchungen an der Universität von Kalifornien ergaben, dass der Mensch täglich etwa 200 Mal flunkert. Laut einer Studie des Psychologen Robert S. Feldman lügt der Durchschnittsmensch zwei bis drei Mal während einer alltäglichen zehnminütigen Unterhaltung. Quantitativ besteht zwischen den Geschlechtern kaum ein Unterschied. Jedoch: Frauen lügen eher, um das Wohlbefinden ihrer Gesprächspartner zu heben, im Gegensatz zu Männern, die sich selbst in einem besseren Licht erscheinen lassen wollen, indem sie die Unwahrheit sagen.

Wie man es auch dreht und wendet, wie viele Studien und Versuche auch noch über Lügen gemacht werden mögen: eine Lösung - falls überhaupt erstrebenswert - wie etwa ein optimales Maß an Lügen, geschweige denn ein Leben ohne Lügen, wird es ohnehin nie geben. Peter Stiegnitz sieht die Lüge als "Salz des Lebens": Ohne Salz schmeckt eine Suppe gar nicht. Aber noch viel ungenießbarer ist eine versalzene.

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