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„Politischer Katholizismus“ in der österreichischen Volksbildung?

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Der Bildungsreferent des österreichischen Gewerkschaftsbundes hat kürzlich in einem Artikel in der sozialistischen Monatsschrift „Zukunft“, „Politischer Katholizismus in der Volksbildung“, die Tätigkeit des Unterrichtsministeriums und seiner Organe einer Kritik unterzogen und dabei zu mehrfachen Problemen der Volksbildung Stellung genommen. Damit ist eine wichtige und fruchtbare Diskussion eröffnet.

Das Unterrichtsministerium hat seit 1945 alles darangesetzt, um das völlig zusammengebrochene Volksbildungs-wesen wieder aufzubauen. Diese Bemühungen sind nicht erfolglos geblieben. So bestellen heute rund 1600 Volksbüchereien gegen 400 Ende 1945 und 800 im Jahre 1938. über Anregung des Ministeriums wurde ein „Verband der österreichischen Volksbüchereien“ geschaffen und damit die Möglichkeit gegeben, daß nach dem demokratischen Prinzip der Selbstverwaltung die Büchereien ihre Angelegenheiten selbst besorgen. Der Vertreter des Ministeriums hat im Hauptausschuß nur beratende Stimme. In Wien, den Landeshauptstädten und vielen anderen Orten bestehen wieder Abendvolkshochschulcn, die gleichfalls zum Teil vom Bund gefördert werden. Ferner wurde vom Bund ein bäuerliches Volksbildungsheim errichtet, das im Sommer für Tagungen und Kurse für Volksbibliothekare, Lehrer usw. dient; im Ministerium wurde unter Teilnahme führender Persönlichkeiten aus dem Gebiete des Musiklebens das „Volksliedwerk“ zur Pflege des Volksliedes reaktiviert. In einigen Bundesländern haben sich über Initiative des Volksbildungs-refprenten die Einrichtungen der Volksbildung zu Dachverbänden (Bildungs-werkeh) zusammengeschlossen. In vielen vom Ministerium veranstalteten Tagungen wurden Fragen der Volksbildung erörtert und geklärt.

Der Verfasser der eingangs erwähnten Kritik behauptet nun, daß alles, was bisher vom Ministerium und seinen Organen geschehen sei, Ihfiltrationsver-suche des politischen Katholizismus darstelle. Eine sehr allgemeine Behauptung, für die der Kritiker die Belecfe schuldig bleibt. An welcher Volkshochschule, bei welchen Volksbüchereien wurde versucht, bestimmte politische Absichten durchzusetzen? Weiß der Kritiker nicht, daß das Ministerium es sogar wiederholt abgelehnt hat, Volksbildungseinrichtungen, die darum gebeten hatten, Direktiven zu geben? Daß über Wunsch fachliche Beratung, etwa über Fragen der Büchereiverwaltung, Anlage von Statistiken usw., erfolgt ist, wird wohl nicht beanstandet werden können. Im übrigen beraten die Organe des Ministeriums zwar, fördern, wo es nötig ist, und regen an, führen aber niemals volksbildnerische Veranstaltungen im engeren Sinn selbst durch. Worin bestehen also diese Infiltrationsversuche?

Der Kritiker könnte antworten, er habe bloß von der bäuerlichen Volksbildung gesprochen. Für ganz Österreich besteht ein einziges bundesstaatliches Volksbildungsheim (Graschnitz bei Sankt Marein im Mürztal). Es ist richtig, daß die Bildungsarbeit in diesem Hause, der Grundhaltung der überwiegenden Mehrheit der Bauern entsprechend, weltanschaulich fundiert ist. Jeder Besucher aber — und der Besuch steht jedem frei

— kann sich davon überzeugen, welche Zurückhaltung gerade in religiösen und politischen Fragen geübt wird. Besucher aus dem Auslande haben der hier geleisteten Arbeit volle Anerkennug gezollt.

Warum hat aber der Bund bisher für die Arbeiterbildung nicht ein ähnliches Heim geschaffen? wird sodann gefragt. Auch dafür gibt es eine sachliche Begründung. Unsere praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der bäuerlichen Volksbildung sind ungleich größer als auf dem Gebiet der Arbeiterbildung. Die letztere bedarf noch eingehenden Studiums und praktischer Erprobung. Gibt es nicht zu denken, daß von den rund 50 Volkshochschulen Dänemarks, dem klassischen Land der Volksbildung, nur eine einzige als Arbeitervolkshochschule geführt wird? Sicher ist die Tätigkeit Josef Luitpold Sterns im Schloß Weinsberg bei Käfermarkt in Oberösterreich, das heute als Bildungsheim der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter geführt wird, ein interessanter Versuch. Ein abschließendes Urteil über Ergebnisse und Erfolg ist jedoch noch nicht möglich.

Schließlich aber, und damit berühren Wir den entscheidenden Punkt, liegt noch ein weiterer Grund dafür vor, daß es noch kein staatliches Bildungsheim für Arbeiter gibt. Immer wieder wurde voh seifen des Ministeriums und seiner Organe versucht, mit den Gewerkschaftskreisen zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit zu kommen. Dies wurde immer wieder abgelehnt. Der Bildungsreferent der Gewerkschaft gibt dafür selber die Begründung. Er schreibt wörtlich: „Eine Bildungsreferentenkonferenz der Gewerkschaften und Arbeiterkammern mußte dieses offenkundige Bestreben der katholischen Volksbildner, durch die Referate der Arbeiterbildner auf den geplanten Konferenzen jenen Einblick in die Arbeiterbildung zu gewinnen, den sie selbst nicht gewinnen konnten, und das Bestreben, mit deh Betriebsbildungsreferenten in direkten Kontakt zu kommen (was bisher nie gelang), um einen Einbruch des politischen Katholizismus in die Arbeiterbildung zu erzielen, im Interesse der Wahrung der Überparteilichkeit des Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammern abweisen.“

Es sollte also erstens vermieden werden, daß die staatlichen Organe Einblick in die Arbeiterbildung bekommen. Warum? Warum soll ferner ein direkter Kontakt zwischen den Arbeiterfunktionären und den Volksbildungsreferenten vermieden werden? Daß aber unsere Bestrebungen zur Zusammenarbeit „im Interesse der Überparteilichkeit des Gewerkschaftsbundes abgelehnt werden müssen“, ist am allerwenigsten verständlich; was der besorgte Bildungsreferent unter dieser Überparteilichkeit versteht, sagt er in dem gleichen Artikel: „Dem Offensivgeist katholischer Volksbildner ist der Offensivgeist sozialistischer Volksbildner entgegenzusetzen.“

Noch ein offenes Wort zur Frage der Neutralität in der Volksbildung. Der Bildungsreferent zitiert einen Satz, den der Verfasser dieser Zeilen in der Festschrift für Steinberger geschrieben hat: „Ist Bildung nicht eine Kategorie des Wissens, sondern des Lebens, kann sie dann auf eine weltanschauliche Basis verzichten? Ist denn Bildung ohne Religion überhaupt möglich? Ist neutrale Volksbildung nicht eine contradictio in adjecto?“

Hinter diesem Satz wittert der Kritiker die Neigung zu politischer Tendenz und Einseitigkeit, die er zwar für den Bereich der bäuerlichen Volksbildung konzediert, für das allgemeine Bildungswesen aber ablehnt. Wie verhalten sich diese Dinge tatsächlich? Bildung ist letzten Endes nichts anderes, als daß der Mensch zur Umwelt in Beziehung gesetzt wird; daß er aus diesen Beziehungen zum Bewußtwerden seiner selbst rals Person gelange und seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft erkenne; daß sich diese Beziehungen zu Bindungen innerhalb überindividueller Ordnungen verdichten. Die Herstellung dieser Beziehungen kann letztlich nur auf Grund eines Ordnungsprinzips, eines Wertsystems erfolgen. Dies kann aber letzten Endes nur eine Wellanschauung geben. Es ist nun eine Selbstverständlichkeit, daß der Volksbildner nicht versucht, seine Meinungen anderen aufzudrängen, andererseits aber ist auch die Zeit vorbei, da man über weltanschauliche und politische Probleme in der Volksbildung schweigen zu müssen glaubte. Es ist sinnlos, eine Neutralität vorzugeben, die einfach nicht möglich ist. Die Volksbildung hat sich nun bereits auf die Weise geholfen, daß sie für alle Interessen und alle Gruppen sorgt; eine Bücherei etwa stellt eben Bücher aller Richtungen ein. Wir nennen das positive Neutralität. Sicherlich eine tragbare Grundlage für die Zusammenarbeit. Auch die staatlichen Organe der Volksbildung fördern alle volksbildnerischen Bestrebungen, von welcher Seite immer diese kommen, und stellen damit ihre Neutralität in diesem Sinne ständig unter Beweis. Daneben haben auch weltanschaulich bestimmte Institutionen die Möglichkeit der Betätigung. Diese auszuschließen, wie es in der Absicht der Sozialisten gelegen ist, eben weil sie nicht neutral sind, widerspräche der historischen Entwicklung und dem demokratischen Prinzip der Freiheit der Betätigung auf dem Gebiet ( der Volksbildung.

Zu einer weiteren Feststellung in der erwähnten Festschrift, daß die Wissensvermittlung heute nicht mehr das ausschließliche Ziel der Volksbildung sein könne, äußert sich der Kritiker dahingehend, daß er derartigen Auffassungen sehr mißtrauisch gegenüberstehe; es liege ja in der Tendenz des politischen Katholizismus, das Denken der Menschen in bestimmte Bahnen zu lenken, und es bestehe daher die Gefahr, daß man das Wissen aus dem Grunde beiseiteschiebe, damit die Menschen leichter der politischen Beeinflussung zugänglich seien. Dazu sei bemerkt:

Immer wieder haben die Organe der staatlichen Volksbildung in aller Öffentlichkeit die Forderung nach geistiger Aktivierung des einzelnen erhoben. Eine der tiefsten Wurzeln unserer heutigen Kulturkrise ist ja die Beziehungslosigkeit des Menschen zu den Kulturgütern. Schule und Volksbildung können nun einen wesentlichen Beitrag zur Uberwindung dieser Kulturkrise leisten: es geht darum, die schöpferischen Kräfte des Menschen zu wecken und zu pflegen. Von irgendeiner Seite her (künstlerische Betätigung, Diskussionen und dergleichen) muß besonders der junge Mensch zur Selbsttätigkeit geführt werden. Dann wird er auch zu den Schöpfungen der Kultur in lebendige innerliche Beziehungen treten und an ihrer Gestaltung selbst mitwirken. Diese geistige Aktivierung, die notwendig ist, um die Todfeinde der Kultur, Apathie und

Lethargie, zu überwinden, ist heute eine der wichtigsten Aufgaben der Volksbildung. Sie hat nichts mit dunklen politischen Absichten zu tun.

Die Organe der staatlichen Volksbildung waren und sind bemüht, im Interesse des gesamten Volkes zu wirken. Gerade denjenigen unter ihnen, die sich zum Katholizismus bekennen, ist es ernst mit der Würde und Freiheit des Menschen. Ihr Weg ist daher klar und eindeutig vorgezeichnet. Eine ehrliche Zusammenarbeit mit den Sozialisten bei voller Wahrung der eigenen Überzeugung ist möglich, ja sie gehört mit zu den schönsten Aufgaben der Volksbildung. Dazu aber bedarf es des guten Willens allei.

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