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Entwirrung oder Zersplitterung

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Jede Großstadt ist der Sammelpunkt geistiger wie auch materieller und wirtschaftlicher Kräfte. Bankinstitute, Direktionsgebäude großer Industrieunternehmungen, wissenschaftliche und Forschungsinstitute sind die äußeren Zeichen dafür. Die Großstadt ist auch der Ort, wo der Mensch am stärksten von geistiger oder leiblicher Not bedrängt wird, wo vielen die seelische Entwurzelung aus Heimat und Familie, das Getriebenwerden von verschiedenen, oft widersprechenden Einflüssen, die massive Propaganda politischer, ökonomischer und kultureller Art, Wohnungsnot, Ungesichertheit am stärksten zum Bewußtsein kommen. Das alles aber weckt nicht nur physische, sondern auch geistige Abwehrkräfte, zwingt zu einer Auseinandersetzung. Es macht den Großstadtmenschen beweglicher, wendiger, aufgeschlossener. Das gilt natürlich nur für jene, die dafür Bereitschaft und Fähigkeit in sich tragen. Die anderen werden beinahe bis zur Entpersönlichung nivelliert.

Wie steht es nun mit den geistigen — und fügen wir hier gleich hinzu —, den religiösen Impulsen des Großstadtlebens im heutigen Wien? Diese Stadt hat in ihrer großen Vergangenheit als Kaiserstadt eines aus 15 Nationen zusammengesetzten Reiches früher viele junge Kräfte: Politiker, Gelehrte, Musiker, Künstler, Techniker angezogen. Sie fanden hier mannigfache und große Aufstiegsmöglichkeiten, und jeder konnte es sich zur Ehre anrechnen, an einer der Wiener Kulturstätten zu wirken.

Daß dem seit dem Zusammenbruch der Monarchie nicht mehr ganz so ist, darf nicht wundernehmen. Wien hat mit diesem Zusammenbruch viel von seinem alten Glanz und Ruhm verloren. Es ist aber immer noch reich geblieben an geschichtlichen Denkmälern, es zehrt noch von einem reichen kulturellen, geistigen und religiösen Erbe, das nicht so rasch ausgeschöpft werden kann.

Trotz alldem Wäre di? wJ WfeW iW sterbende Stadt, wenn esnicht neues Schöpferische Wette auf geistigem mid kulturellem Gebiet hervorbringen würde, Werte die über den engen Raum dieser Stadt als Quelle neuer Kraft hinauswirken müssen.

Auf mehreren Ebenen

Seit dem Jahre 1945 ist der katholischen Bildungsarbeit ohne Zweifel verstärktes Augenmerk zugewendet worden, und es muß erfreulicherweise festgestellt werden, daß zahlreiche Initiativen vorhanden sind. Als die bedeutendste unter ihnen müssen wohl an erster Stelle die Theologischen

Laienkurse des Wiener Seelsorgeinstituts, die bereits in der Kriegszeit begonnen wurden, genannt werden. Ihnen kommt in der katholischen Bildungsarbeit ohne Zweifel eine überaus wichtige Funktion zu. Theologieprofessoren nicht bloß der Wiener Katholisch- Theologischen Fakultät, sondern auch anderer theologischer Lehranstalten stellen sich in dankenswerter Weise als Dozenten dieser Theologischen Kurse zur Verfügung. Die ständige Zunahme an Hörern aus Studentenkreisen und unter den Erwachsenen zeigt, daß diese Bildungsarbeit einem echten geistigen Bedürfnis entgegenkommt. In jüngster Zeit hat diese Arbeit eine Nachahmung für das besondere Gebiet der Sozialwissenschaften in der Katholischen Sozialakademie gefunden.

Neben diesen Einrichtungen steht auch als eine Gründung der Nachkriegsjahre die Wiener Katholische Akademie mit einem sehr breiten, alle Wissensgebiete umspannenden Vortragsprogramm. Außerdem bestehen in der Wiener Katholischen Akademie Arbeitskreise für verschiedene theologische und an die Theologie angrenzende Fachgebiete, in denen Dozenten die aktuellen wissenschaftlichen Probleme behandeln.

Für breitere Schichten der Bevölkerung arbeitet das Bildungswerk der Katholischen Aktion mit einem sehr weit gespannten Vortragsprogramm.

Außer diesen Institutionen bemühen sich aber auch einzelne Vereinigungen, wie die Katholische Hochschuljugend, der Katholische Akademikerverband und ihnen verwandte katholische Organisationen um eine echte und zeitgemäße Bildungsarbeit.

Darüber hinaus werden auch von manchen nicht ausschließlich katholischen Institutionen, wie Volkshochschulen, noch wertvolle Beiträge zur katholischen Bildungsarbeit geleistet.

Fundierung und Konzentration

Diese allgemeine Regsamkeit, und Unternehmungslust ist nun zweifellos eĮ ąJ-efĮ?ęuligįt.e jjErsęheinung, doch gį ;swįjf,mcį|, üljessehen, daß ihr ,verscliiedene -Mängel, anhaften. Wenn

wir dazu einige kritische Bemerkungen machen, dann soll nicht das Verdienst der geleisteten Arbeit geschmälert, sondern nur der Versuch unternommen werden, die Entfaltung dieser religiösen Bildungstätigkeit vor einer Erstarrung zu bewahren und einer fruchtbareren Entwicklung zuzuführen.

Trotz vieler und eifriger Bemühungen fehlt der katholischen Bildungsarbeit in Wien schon das Grundlegendste: eine umfassende katholische Bibliothek, in der alle einschlägigen Fachzeitschriften und ebenso die einschlä-

gige moderne Literatur für alle Interessenten leicht greifbar ist. Tatsächlich ist die religiöse Bildungsarbeit dadurch sehr erschwert, dem Gelehrten aber die Arbeit teilweise unmöglich gemacht. In dieser Richtung müßten verstärkte Anstrengungen unternommen werden.

Beinahe übereinstimmend ist ferner die Beobachtung aller aktiv an der Bildungsarbeit Beteiligten, daß das Vielerlei an Veranstaltungen zu groß ist. Vieles geschieht zwei oder dreimal, was besser nur einmal, dafür aber gründlicher gemacht werden sollte. Bei der übergroßen Zahl von Veranstaltungen darf es nicht wundernehmen, daß sowohl die Qualität der Vorträge als auch der Besuch nicht erstklassig sein kann.

Wie könnte diesen Übelständen entgegengewirkt werden? Es scheint uns nicht allzu schwer zu sein, wenn die bestehenden Institutionen ihr eigenes Wirkungsziel genau präzisieren und nur das, was wirklich im Rahmen ihres Wirkungszieles liegt, tun und es unterlassen, durch eine immer größere Breitenwirkung die Tiefenwirkung zu ersetzen. Als größere Konzentration der Kräfte!

Nicht der letzte Grund für die bisweilen ein wenig chaotisch wirkende Vielheit im Vortragsprogramm scheint uns auch der Umstand zu sein, daß die Programme allzu leicht von Managern zusammengestellt werden, die natürlich viel leichter in die Versuchung kommen, die Programme immer mehr zu erweitern.

Eine gut gezielte religiöse Bildungsarbeit muß sich auf die wesentlichen und wichtigsten aktuellen Grundsatzfragen beschränken und zwischen We

sentlichem und Unwesentlichem gut auszuwählen wissen. Sie muß ferner, um eine wirkliche geistige Strahlkraft in der Großstadt zu haben, sich um die jeweils besten Referenten bemühen. Nur auf diese Weise wird durch die Bildungsarbeit die entscheidende Schichte der Bevölkerung erreicht. Gelingt das nicht, dann hat die Bildungsarbeit ihr Ziel nur sehr unzulänglich erreicht.

Streben wir also mehr die Qualität der Bildungsveranstaltungen an! Meiden wir eine Inflation im katholischen Bildungswesen! Meiden wir die Vergeudung der Kräfte und der Mittel! Hier liegen die eigentlichen Versuchungen in der religiösen Bildungsarbeit.

Je mehr man sich um die Erwachsenenbildung bemüht, desto mehr muß man sich über den Begriff der Erwachsenenbildung klar werden. In einer Arbeit der SWA (Probleme der österreichischen Volksbildung) wird dargelegt, daß sich die Volksbildner noch immer mit diesem Begriff auseinandersetzen. Sosehr man sich über die Bedeutung und Wichtigkeit der Erwachsenenbildung im klaren ist, so wenig ist man sich noch im klaren über das Ziel und W sen derselben. Sicher geht es darum, die Erwachsenen zu höheren beruflichen und menschlichen Leistungen zu befähigen. In der religiösen Erwachsenenbildung wäre das Ziel nicht unschwer festzustellen. Die Erwachsenen sollten mit jenen geistigen und religiösen Werten ausgerüstet werden, die sie befähigen, ihr eigenes und ihr Familienleben von diesen höchsten Werten her zu formen. Was unter dieser Rücksicht heute dringlich ist, was im jeweiligen Augenblick gefährdet oder umstritten ist, das ist Thema der religiösen Erwachsenenbildung. Was der Festigung der kirchlichen Gemeinschaft dient, ist wesentlich Thema der religiösen Bildung.

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