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In Ottakring wie auf der Universität

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„Auf Grund der raschen Änderungen in der Gesellschaft von heute können Schule und Berufsausbildung dem einzelnen nicht mehr das notwendige Wissen und geistige Rüstzeug für sein weiteres Leben vermitteln. Das schnelle Veralten des Wissens — insbesondere des SpezialWissens —, erforderliche Um--Stellungsprozesse im Berufsleben und die geistige Orientierung in der modernen, komplizierter werdenden Gesellschaft erfordern vom einzelnen auch nach Verlassen der Schule bzw. dem Abschluß der Berufsausbildung eine ständige Weiterbildung.“ (Aus den Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens.)

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„Auf Grund der raschen Änderungen in der Gesellschaft von heute können Schule und Berufsausbildung dem einzelnen nicht mehr das notwendige Wissen und geistige Rüstzeug für sein weiteres Leben vermitteln. Das schnelle Veralten des Wissens — insbesondere des SpezialWissens —, erforderliche Um--Stellungsprozesse im Berufsleben und die geistige Orientierung in der modernen, komplizierter werdenden Gesellschaft erfordern vom einzelnen auch nach Verlassen der Schule bzw. dem Abschluß der Berufsausbildung eine ständige Weiterbildung.“ (Aus den Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens.)

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Die Erwachsenenbildung, oder, wie es noch im Artikel 14 der Bundesverfassung hieß, die „Volksbildung“, hat in Österreich zwar eine lange Tradition, aber leider noch immer nicht genügend Ansehen bei den entscheidenden Persönlichkeiten unseres öffentlichen Lebens gehabt. Obwohl doch einige prominente Parlamentarier ihr Wissen etwa in den Volkshochschulen erworben oder jedenfalls erweitert haben, ist die Anerkennung für die Institutionen der Erwachsenenbildung im allgemeinen in der Zweiten Republik ein bloßes Lippenbekenntnis geblieben.

Trotz steigender Teilnehmerzahlen und einem einzigartigen Ausbau der

Volskhochschulen und Bildungswerke (natürlich auch der öffentlichen Büchereien) ist die Förderung dieser Institutionen zurückgeblieben. Nicht nur dem Sport, von dem vermutet wird, daß er große Massen von Anhängern bewegt und mobilisiert, sondern auch den nicht immer bedeutsamen Ereignissen auf dem Gebiete des Musiklebens wurde von Parlamentariern und Journalisten eine größere Bedeutung und damit auch eine weit größere finanzielle Förderung in den Landes- und Bundeshaushalten eingeräumt.

In den letzten Jahren ist hier allmählich eine Wandlung eingetreten. So haben die Bundesminister für Unterricht Dr. Mock und Gratz eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Förderungsgesetzes für die Erwachsenenbildung eingesetzt.

Im Parlament haben in der Session 1971 insbesondere die Abgeordneten zum Nationalrat Luptovits (SPÖ-Kämten) und Dr. Gruber (ÖVP-Nie-derösterreich, der gleichzeitig der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Volksbildungsheime ist) sich ausdrücklich für eine größere Förderung der Erwachsenenbildung und für eine gesetzliche Verpflichtung des Bundes zur Förderung eingesetzt.

Kompetenzkonflikt Bund-Länder

Mit dem neuen Entwurf eines solchen Gesetzes ist eine Lücke geschlossen worden, die seit der Bundesverfassung von 1920 offengeblieben ist. Der Artikel 14 der Bundesverfassung hat die Kompetenz zur Gesetzgebung in Fragen der Schule, der Erziehung und der Volksbildung zwischen Bund und Ländern nicht eindeutig geregelt. Während aber für das Schul- und Erziehungswesen in der Zweiten Republik inzwischen verfassungsmäßige Gesetze beschlossen wurden, ist für das Volksbildungswesen noch keine Regelung eingetreten. Die Schwierigkeiten, die bestehen, waren nicht nur durch die verschiedenen Ansichten der zwei großen politischen Parteien über das Volksbildungswesen, sondern vor allem durch die Gegensätze zwischen Bund und Ländern hinsichtlich der Kompetenzen auf diesem Gebiete zu erklären.

Um eine Rechtsgrundlage für die Förderung der Volksbildung (Erwachsenenbildung) zu erhalten, hat sich nun das Bundesministerium für Unterricht und Kunst auf den Artikel 18 der Bundesverfassung gestützt, welcher eine Kompetenz des Bundes für privatwirtschaftliche Regelungen enthält. Ein Förderungsgesetz kann nach herrschender

Rechtsauffassung auch ohne eine Lösung der Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern beschlossen werden.

So ist nach vielen Entwürfen des Ministeriums, der Parteien und Volksbildungsorganisationen endlich der gordische Knoten durchschnitten und das Problem, welches seit 1920 besteht, wenigstens einigermaßen gelöst worden.

Mehr als fünfzig Jahre hat sich nun die Erwachsenenbildung ohne eine feste Verpflichtung, sie auch finanziell zu unterstützen, in Österreich entwickelt. In den Glanzzeiten der Volkshochschulen, etwa in den zwanziger Jahren, haben Männer wie Thomas Mann und Max Planck in den größten Hörsälen und Konzertsälen Wiens vorgetragen. Das Kursprogramm des Wiener Volksheims in Ottakring umfaßte fast alle Disziplinen der Universität in systematischen Lehrgängen.

Nach 1945 hat die Erwachsenenbildung in Österreich einen großen Aufschwung genommen. Die mehr oder weniger vereinsmäßig geführten Büchereien sind überwiegend von Städten und Gemeinden übernommen und großzügig ausgebaut worden. Durch Büchereibauten, Einsetzung von hauptberuflichen Büchereileitern und einem Ausbildungssystem für die Bibliothekare der öffentlichen Büchereien haben sich die Volksbibliotheken zu einer festen Institution entwickelt, für welche auch ihre Träger (Städte, Gemeinden, Gewerkschaften und Kirchen) nicht unwesentliche Geldmittel aufwenden.

Die Volkshochschulen, welche vor dem Krieg vor allem in Wien ihre traditionellen Stätten besaßen, sind nun in allen Bundesländern tätig. Eine Arbeitsgemeinschaft der Volksbildungsheime (also Bildungshäuser für Wochen- und Monatskurse) hat sich gebildet und weiterentwickelt. Der Ring der Bildungswerke umschließt mehrere bedeutsame Organisationen der beiden christlichen Konfessionen und solche, die überwiegend der ländlichen Bildungsarbeit dienen.

Dieser große Aufschwung ist in der Stille, weitgehend durch ehrenamtliche Mitarbeiter getragen, und mit Ausnahme der Förderung durch die größeren Kommunen unter großen finanziellen Schwierigkeiten vor sich gegangen. Seit 1954 hat auch der Bund Geldmittel beigetragen, die aber in keiner Relation zur Teilnahme großer Teile der Bevölkerung an den Bildungsmöglichkeiten der Erwachsenenbildungsorganisationen stand. In verschiedenen Enqueten wurde auf diese Notlage hingewiesen und es ist erfreulich, daß in der Regierungserklärung der Regierung Kreisky das Versprechen einer größeren Förderung der Erwachsenenbildung und eine gesetzliche Regelung enthalten ist.

Inzwischen ist für die politische Bildungsarbeit der im Parlament vertretenen Parteien ein eigenes Förderungsgesetz beschlossen worden, welches vor allem eine finanzielle Grundlage der „Politischen

Akademien“ darstellt.

Bundesminister Dr. Sinowatz hat nun auch nach mehreren Beratungen mit Vertretern der Bundesländer und der Organisationen der Erwachsenenbildung einen Entwurf eines Förderungsgesetzes für die Erwachsenenbildung und die Volksbüchereien ins Begutachtungsverfahren gegeben und dieser Entwurf sollte noch heuer dem Parlament vorgelegt werden. Gleichzeitig sind auch in zwei Nachtragsgesetzen zum Bundeshaushalt zusätzliche Mittel für verschiedene Zwecke der Erwachsenenbildung zu erwarten.

Wenn auch die Möglichkeiten einer großzügigen Förderung (Schweden verwendet etwa siebzehnmal so viel staatliche Mittel für seine Erwachsenenbildung als Österreich und auch Norwegen, ein viel ärmeres Land, immerhin viermal so viel) im Rahmen der allgemeinen Budgetschwierigkeiten gesehen werden müssen, würde mit der Gesetz-werdung ein zweiundzwanzigjähri-ger Kampf der österreichischen Erwachsenenbildner Früchte getragen haben. Auch die beruflichen Institutionen der Erwachsenenbildung, sowohl von der Unternehmer- als auch von der Arbeitnehmerseite und der Landwirtschaft, sind nun in ihren Bemühungen mit den allgemeinen Institutionen der Erwachsenenbildung in einer „Konferenz der österreichischen Erwachsenenbildung“ vereint.

Der Kampf um die ständige Weiterbildung des Menschen im Interesse des einzelnen und der Gesellschaft wird fortgesetzt werden können.

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