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Landvolk im Schritt der Zeit

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Die kulturelle Erschütterung ist in der Gegenwart fast noch schwerer als die politische. Die Gründe findet man wie nach jedem Volksunglück in der fehlgeleiteten Erziehung des Volkes. Die Menschen werden sich erst durch das Erlebnis der Katastrophe des Wertes der Erziehung bewußt. Darauf werden weitgehende Reformvorschläge für die Bildungseinrichtungen vorgelegt; aber sie bedeuten nicht alles; zuerst sollte die Zuständereform in der sozialen Umwelt der Jugend die richtige Gesinnung' vorbereiten. Immerhin ist die Schuljugend leichter auf ein neues Erziehungsideal umzuleiten als der Erwachsene, der dem Volksbildner als persönlich geprägt gegenübertritt. Und doch muß auch seine Umerziehung von der Volksbildung zielbewußt und rasch in Angriff genommen werden, seiner selbst und unseres Staates wegen. An ihm wird die ganze Bildungsarbeit viel mehr als bisher vom Menschen ausgehen und ihn in seiner Ganzheit zum Ziele haben müssen. Der moderne Mensch ist so enge in Bindungen und Gemeinschaften mit verschiedener Zielstrebigkeit verwoben, daß bei seiner Bildung- und Erziehungsarbeit die Kenntnis und Einfühlungsfähigkeit in seine soziale Umwelt eine unerläßliche Vorbedingung ist. Unsere Vorfahren lebten in den wenigen natürlichen Gemeinschaften, die in ihren gegenseitigen Ansprüchen auf die kirchliche Gemeinschaft maßvoll abgestimmt und eingeordnet waren. Darin ist der große Wandel eingetreten, der in der Volksbildung nicht weiterhin unbeachtet bleiben darf. Und auch auf dem Lande, im Dorfe, hat sich die soziale Struktur grundlegend bereits geändert, von der einstigen Dorfgemeinschaft ist nicht allzuviel zu spüren. Es wird weiterhin nicht mehr möglich sein, in der Volksbildung auf dem Lande nur den bäuerlichen Menschen im engeren Sinne zu betreuen; in Österreich stellt der Bauer noch den größten Anteil in der Landbevölkerung, doch beginnt sich neben ihm und oft im Gegensatz zu ihm seit längerer Zeit der Dienstbote zum Landarbeiter herauszubilden. Durch den Krieg sind zahlreiche Industrien mit ihrer Arbeiter- und Angestelltenschaft auf das Dorf abgewandert, auch der Dorfhandwerker und der Gewerbetreibende tritt stärker aus der Dorfgemeinschaft heraus. Man wird daher diese eigenständig gewordenen Gruppen in die Volksbildung einbeziehen müssen, diese zu einer Landvolksbildung erweitern und die spürbare Gegensätzlichkeit zwischen dem bodenbesitzenden Bauer und den Grundbesitzlosen abzubauen haben.

Im Nachwirken der romantischen Beschränkung ihrer Arbeit auf das Bauerntum hatte die Volkskunde im Leben und Wirtschaften auf dem Lande eine allgemeine Erhaltung der Tradition gesehen und an diesem Glauben festgehalten, nachdem sich der soziale Strukturwandel bereits deutlich bemerkbar gemacht hatte. Die Volks-k u n d e f o r s c h u n g muß leider für weite Gebiete die gegenteilige Feststellung machen, daß nämlich die ländliche Tradition in starkem Schwinden begriffen ist. Der Bauer droht ein ganz anderer zu werden. Gegen diese Entwicklung hilft kein Reden von „Verpflichtung zur Tradition und Vätererbe“, kein Preis des ländlichen Brauchtums, nur eine Zuständereform könnte hier den Gesinnungswandel einleiten. Der Bauer steht mitten im Fluß der sozialen Entwicklung und vielleicht gerade er jetzt mehr als die anderen Stände. Der Volksbildner sei sehr vorsichtig mit schwärmerischem Lobe auf die bäuerliche Natur- und Bodenverbundenheit, für den Bauer mischt sich in das Wort allzuleicht der Geschmack von Rückständigkeit hinein; er will nicht eine Art Freilichtmuseum für vergangene Zustände im Leben und Wirtschaften auf dem Dorfe. Es kann sein, daß die Sämaschine bald, den Sämann vom Acker verdrängt hat, aber der technische Fortschritt bedeutet für den Bauer Arbeitserleichterung und Produktionssteigerung. Mit Interesse besucht er die landwirtschaftliche Musterschau und die gewerbliche Ausstellung, aber nicht die volkskundlichen Sammlungen mit den urtümlichen Arbeitsgeräten.

Die Volkskunde beginnt heute die kulturelle Entwicklung auf Grund der geschichtlichen Forschung richtiger zu sehen, daß nämlich das Land aus der Stadt ununterbrochen Kulturgut übernommen hat und auch weiter übernehmen will. Wertvolles und Schädliches befindet sich darunter. Es liegt somit die große Aufgabe der Landvolksbildung darin, daß sie das Landvolk in die richtige geistige Bereitschaft setzt, im Übernommenen die richtige Auswahl zu treffen. Der Landmensch hat dieselbe Berechtigung auf gewisse Annehmlichkeiten der Stadt. Nur die mißbräuchliche Anwendung technischer Neuerungen muß durch eine aufgeschlossene Volksbildung, die um die soziale Entwicklung weiß, verhindert werden. Wäre man sich in den verantwortlichen, sogenannten oberen Volksschichten rechtzeitig bewußt geworden, daß sie eine kulturelle Verpflichtung gegenüber dem Dorfe haben, ihm nur Wertvolles hinauszuleiten, dann hätte nicht eine ungestillte Begehrlichkeit die Menschen vom Lande in die Stadt getrieben. Die Landflucht ist nicht nur im Materiellen begründet — da müßte sie jetzt abgebrochen sein —, sondern im geistigen Umbruch des Landmenschen und in der allgemeinen Lebensgier. Doch wäre mancher Dienstbote auf dem Lande geblieben, wenn auch seinen gesteigerten Lebensbedürfnissen, und die sind bei ihm ebenso verhanden wie bei der Bauerstochter, mit mehr Bereitwilligkeit und größerem sozialen Verständnis entgegengekommen worden wäre. Auch hier wird die Volksbildung eine große Aufgabe zu bewältigen haben, ja gerade darin ihre Bewährungsprobe zu bestehen haben, wie sie die geistig selbständig gewordenen, nicht mehr rein bäuerlichen Menschen richtig betreut. Die Volks-* bildung hat aber weiterhin die Aufgabe, die Stadt und ihre sozialen Probleme wirklich und wahrheitsgetreu vor Augen zu führen. In den Filmen — und das Landvolk besucht jeden, der ihr vorgeführt wird, weil es keine Auswahl hat —, wird die Stadt als eine Versammlung nur schöngekleideter Menschen vorgeführt, die immer Feiertag haben. In gut vorbereiteten Führungen soll man die jungen Leute vom Lande in die Betriebe der Stadt bringen und ihnen einen Blick tun lassen in die schwere Arbeit, in das rasende Arbeitstempo, in die soziale Notlage. Mancher würde es vorziehen, auf dem Lande zu bleiben. Dem Städter das wahre Antlitz des Landes zeigen, wäre für die Volksbildung der Beitrag zum Ausgleich von Stadt und Land. Durch die Kriegsnöte kamen viel mehr Städter mit dem Landvolk in Berührung als früher, und sie näherten sich in ihrer gegenseitigen Achtung, und der Städter wird erkannt haben, daß der Eindruck von dem vielen Singen und Musizieren und Spielen und Tanzen der Arbeitsmaiden im Rundfunk der jüngstvergangenen Zeit eine unrichtige Vorstellung von der schweren Landarbeit erweckt hat. Dem Städter müßte die ethische Auffassung für die Arbeit vermittelt werden, wie sie der Bauer mit seiner Familie noch hat. In der Volksbildung wird man auch darauf achten müssen, daß die sittenmäßigen Grundlagen christlichen Volkstums stets beachtet werden, so daß nicht zu jeder Jahreszeit unterschiedslos Brauchtumsvorführungen von Vereinen, wenn auch in bester Absicht, durchgeführt werden.

Über ihre Einhaltung in der Familie wachte die Bäuerin. Ihr muß die Volksbildung eine größere Obsorge zuteil werden lassen. Sie ist die Trägerin der Sitte in der Familie und für ihre Erhaltung maßgebend. Die Hausmutter hat den bestimmenden Einfluß auf die Mädchen, erhält diese in der ländlichen Lebensordnung.

Die Richtung der Männer auf dem Lande ist vor allem auf das Wirtschaftliche gerichtet; die Volksbildung wird hiefür mit den Berufsvereinigungen enge zusammenarbeiten müssen, sie selbst aber alles versuchen müssen, die soziale Frage, für die das Landvolk und im besonderen der bäuerliche Mensch in manchen ■ Gegenden wenig Aufgeschlossenheit gezeigt hat, in einer geschickten und taktvollen Art an das Landvolk heranzubringen.

Sie wird die jungen Männer in die Fragen der Gemeindeführung einzuweisen haben durch Kurse und Vorträge in den Monaten mit Arbeitsruhe, daß sie befähigt werden, zu allen Problemen, die gegenwärtig auch eine kleine Landgemeinde stellt, selbständig Stellung zu nehmen.

Und schließlich hat die Volkskunde dem bäuerlichen Menschen eine Sühne zu leisten. Denn sie hatte seine Frömmigkeit solange zu einer beinahe anderen Form des christlich-katholischen Glaubens umgeprägt, bis es dem jüngsten Kulturkampf gar nicht schwer fiel, in dem Bauer nur einen mit einer christlichen Schicht übertünchten germanischen Heiden zu sehen. Was sich unter der Maske der Volksbildung durch Schulungsbriefe Ungeistiges und Verderbliches in das Volk geschlichen hat, stellte eine schwere Gefährdung der religiösen Volkssubstanz dar. Die Volksbildung hat hier zu achten, daß sich dieses gefährliche Zeug nicht weiterhin unter ihrem Deckmantel breitmacht.

Die Volkskunde kann nach Überwindung früherer romantischer Anschauungen der Volksbildung für Stadt und Land wertvolle Hilfe leihen und dabei selbst aus der Zusammenarbeit mit der Volksbildung den größten Nutzen ziehen.

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