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Sein und Ruf der Landjugend

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Die Jugend unserer Dörfer zeigt kein einheitliches Bild. Die Bauernbursd^rn und Bauernmädchen, die Jugend der landwirtschaftlichen Arbeiter, der Handwerker und der im Dorfe wohnenden Industriearbeiter bilden nidnt bloß beruflich verschiedene Gruppen. Der Alters- und Geschlechtsunterschied, an und für sich im Dorfe nicht so tiefgehend wie in der Stadt, stört heute auch die Einheitlichkeit der Dorfjugend, waren doch die Burschen etwa über zwanzig jähre ganz anderen Umwelt- und Erlebniseinflüssen ausgesetzt als die Mädchen ihres Alters und ihre jüngeren Brüder und Schwestern. Die Jüngeren hinwieder erlebten eine ganz andere Schule und Erziehung.

Mit dem Bauerntum als solchem war auch die jetzige bäuerliche Jugend 'schon vor diesem letzten Weltkrieg — als Kinder und Jugendlidie — in ihrem bäuerlichen Seelengrund stark bedroht. Die Mechanisierung und Rationalisierung der väterlidien Wirtschaft in einer natürliche, auch natürlich-religiöse Bindungen mißachtenden geistigen Einstellung, ein dadurch bis über dfc Maßen gesteigerter Wirtsduftsgeist und ein bis zum Höchstmaß gesteigerter Lebensa nsprudn war allzuoft Erbe, standen an der Wiege dieser Jugend, saßen mit ihr auf der Schulbank und waren ihr Lehrmeister'bei der ersten“ Arbeit. In den Kindesjahren dieser Jugend wirkte der Zusammenbruch einer vor allem vom Bauerntum jahrhundertelang unantastbar und heilig gehaltenen Autorität noch stark nach, die Politik mit Zank und Streit zog in das Dorf ein, es gab im Staate Revolution, Bürgerkrieg, Wende und Umbruch. Von der Stadt her kamen Hausierer und Agenten, Kind und Radio, gute und üble Druckwerke, giftige Einflüsse griffen den bäuerlichen Seelenkern an.

So zog die ältere Generation der mannlichen Bauernjugend, in den Arbeitsdienst, in die Kaserne, an die Front. Die „weltanschauliche Schulung“ dort wurde, soweit sie zum bäuerlichen Denken überhaupt Zuging fand, instinktiv als im wahrsten Sinne des Wortes bodenlos empfunden und aus der real-praktischen bäuerlichen Geisteshaltung heraus abgelehnt. Dabei half die Tatsache, daß die bäuerliche Jugend durch die Pubertätserscheinungen seelisch nur wenig berührt und gelockert wird, daß bäuerliche Jugend wenig zu Kritik und Zweifeln neigt. Aber die bäuer-lidie Jugend erlebte dort die Ehrfurchts-losigkeit des Menschen in einem hohen Ausmaß und dieses Erlebnis führte die abwegige Vorkriegsentwicklung weiter und griff tief in das bäuerliche Wesen dieser Jugend. So hat sie heute wenig mehr übrig für die I.ebensäußerungen des bäuerlichen Wesens: Volkslied, Volkssittcn und -brauche, fast alle überkommenen dinglidien und tätigen Lebensformen sind ihr fremd. Die typisch bäuerlichen seelischen Bestimmtheiten, Einfachheit, Genügsamkeit, Echtheit und Wahrhaftigkeit, Ehrfurcht, Frömmigkeit Ordnungsliebe und Gehorsam, damit uidi Zucht, verlieren ihr; Wert-schätzu;- •„

Die nationalsozialistische Weltanschauung im Dorfe, Einberufungen, Einquartierungen, Stellungsbau, zuletzt Heimatfront und wieder Einquartierung mit ailen ihren dem Wesen des Dorfes abträglichen Begleiterscheinungen haben die bäuerliche Mädchenschaft seelisch sdiwer angeschlagen und auch hier die Vorkriogsentwicklung rasch vorwärts getrieben. Tatsachen, welche im Dorfe immer nodn unverrückbar galten, wurden Gegenstand des öffentlichen Zweifels, des Angriffes, der verlogenen und unverschämten Bloßstellung. Was das Dorf in ehrfurchtsvoller Scheu hochhielt, wurde dem Spotte ausgeliefert, anderes, bis jetzt das Tageslicht Fliehendes, als selbstverständlich und natürlich weithin . sichtbar erhoben. Die bäuerliche Mädchenschaft schreckte auf vor diesen Erscheinungen, wurde später aber selbst nicht selten ihr Opfer. Jetzt . haben die Mädchen oft audi nicht mehr die Kraft; das Leiden auf sich zu nehmen, das das Wesen der Heimkehrer für sie bedeutet. Allzusehr ^stark auch ist das Bemühen, sich diesem Wesen anzugleichen. Die Angst vor dem „Übrigbleiben“ tut das ihre. Im Bauerntum war die Unverheiratete seit jeher ein Mensch zweiter Klasse. Vor allem durdi diese Tatsache wurden die Beziehungen der Geschlechter zueinander auch im Dorfe ihrer natürlichen Unbefangenheit und Reinheit beraubt. Haltlos aber darf man die erwachsene bäuerliche Jugendschaft nidit nennen. Immer noch wirken In ihr Kräfte der Beharrung aus religiöser und menschlicher Verbundenheit. Starker Halt der Bauernjugend war und ist noch immer die Bauernarbeit.

Die bäuerliche Grundhaltung auch der anderen Berufsgruppen der reifen Dorfjugend ist nicht zu bezweifeln. Doch fanden hier die entbäuerlichenden Kräfte der Vorkriegs- und Kriegszeit weniger Widerstand. Diese Jugend ist mehr geschädigt und gefährdet. Audi ist ihr religiöser Grund weithin verschüttet, wenn nicht schon manchmal vernichtet. Aber sogar der Schlurf, der in manchen Dörfern auftauchte, trägt noch nicht das Gesicht der Stsdt.

Die reifende Dorfjugend war einst schutzlos und fast ausschließlidi der nationalsozialistischen „Erziehung“ in Schule und Zwangsappell ausgeliefert. Hier konzentrierte sich de? nationalsozialistische Angriff auf das Dorf zur größter, Stärke und hatte auch den größten Erfolg. Durch systematische Erziehung gegen Familie, Dorfgemeinsdiaft, oft auch gegen den Lehrer und jede nicht parteimäßige Autorität, durch die übersteigerte Wertung des jugendlichen Selbstbewußtseins ersdiejnt heute diese Jugend schwerst getroffen. Auch durch die mannigfachen Maßnahmen gegen den kirchliehen Erziehungsanspruch, die oft dem Dorfpfarrer die Begegnung mit dieser Jugend unmöglich machten, litt diese Jugend mehr Schaden als die städtische, weil auf dem Dorfe die direkte bewußte Erziehung der Jugend fast ausschließlich außerhalb der Familie geleistet werden muß. Daß aber auch diese reifende Jugend noch nicht ins Haltlose abgeglitten ist, hat sie ihrem seelischen Erbe und der den ganzen Menschen in Anspruch nehmenden Feldarbeit und Naturverbundenheit zu verdanken. Traditionszwang und Angst vor dem Dorfgewissen ist oft letzte Stütze. — Doch ist icht zu verkennen, daß die Landjugend die vielseitige Bedrohung ihres Wesens zu erfassen beginnt und dem zu folgen geneigt ist, der ihr Wissen, Bildung und vor allem eine freundliche Gestaltung ihres Jugcnd-lebens zeigt.

Und dies ist der Ruf der Landjugend! Dorfjugend ruft nach Stärkung und Mehrung ihres seelischen Ahnenerbes, ihres bäuerlidien Lebensgefühles! Unsere Dorfjugend muß wieder die volkskundlichcn Gegebenheiten, wie Sitte und Brauch, Volkskunst, Volkstanz und Volkslied, als gestaltende Kräfte schätzen lernen. Vornehmste Aufgabe der Burschen-und Mädchenschaften soll es wieder werden, Feste und Feiern echt bäuerlich zu gestalten, die öffentlichen Sitten und Bräuche zu pflegen: Ebenso und vor allem wird die bäuerliche Lebenskunde durch Erkenntnis und Erlrbnisvermittlung der innigen Verbindung des Berufes, der Arbeit, des Lebens in der Natur und für die Natur, unter den Menschen und für die Menschen echte, bäuerliche Art wachrufen und pflegen.

Hat diese Arbeit im Religiösen ihren Mittelpunkt, so wird sie die bäuerliche Jugend seelisch befruchten, d'-nn ihr tragender Unterstrom ist ein religiöser. Ohne eine solche Ausrichtung wäre alle volkskundliche und lebenskundliche Arbeit nur Stückwerk. Hier scheint die große Sendung und Verantwortung der Dorfseelsorge auf An ihr allein liegt es, ob Dorfjugend als solche sein oder sterben wird. Jugendpflege und Jugendseelsorge zu trennen, wäre schwerer Fehler.

Die einzige, alleinige und zumindest prinzipiell umfassende Jugendgemeinschaft ist der Naturstand der Dorfjugendschaft, gegliedert in die oft traditionsgegebene Burschen- und Mädchenschaft.

Der einheitliche, familienhaFte Zug der bäuerlichen Welt will aber nicht nur Jugendgemeinschaft im Dorfe. Er verlangt nach Gemeinschaft mit den Nachbarjugendschaften der nächsten Umwelt, der Heimat, des Vaterlandes. Wenn eine Dorf jugendschaft noeh so lebendig ist, Großes wird sie erst leisen in der überdörflichen Gemeinschaft. Das beglückende Wissen, an der Zukunft der Dorfjugend wirken zu dürfen, soll die Scelsorge nicht hindern, das Wagnis des Vertrauens zu setzen und dörflich und überdörflich das Prinzip der Selbstführung in einem hohen Maß zur Verwirklichung reifen zu lassen. In der Dorfjugend gibt es seit jeher ein echtes Führerturn und der Mißklang des Wortes soll nicht die Tatsache selbst in in „Helfertum“ verwässern! Eine Landjugendbewegung, entscheidend vorgetragen von der Dorfjugend selbst, dies ist bis. je||t unerfüllte Sehnsucht!

Von der Masse der Landjugend wird eine ihre Seele und ihre Sprache ansprechende eigene Zeitschrift erwartet. Unerläßlidi erweisen sich Heime, in welchen die gewecktere Schicht der Dorfjugend in Kursen seelisdie Ausrichtung vom Beruf her erhalten soll und ihre Tüchtigsten für ihre Sendung in die Jugend und in das Dorf vorbereitet werden.

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