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Wurzelboden europäischer Lebensart

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Nur wenn dem Bauerntum die wirtschaftliche Existenzgrundlage gesichert bleibt, kann es seine einzigartige Aufgabe ton staatspolitischen, bevölkerungspolitischen und kulturpolitischen Interesse erfüllen. Diese nichtwirtschaftlichen Werte aber muß man in Rechnung setzen, wenn man vom Standort des Bauerntums in der Gesellschaft spricht. Wir halten nichts von jenen Großraum- planem, die einfach mit dem Rechenstift Millionen von Menschen aus der

Landwirtschaft, aus Heimat und Volkstum verweisen! Mit dem Bauerntum würde der Wurzelboden europäischer Lebensart, das stärkste Bollwerk gegen jede Kollektivisie- rung verschwinden.

Auch hier sind es letztlich ethische Qualitäten, die entscheiden. Zwischen den überseeischen Farmern einerseits und den sowjetischen Agrarkollektiven anderseits wird sich der europäische Bauer nur bewahren können, wenn seine Arbeit soiwolM von ökonomischer Rationalität als auch von der Gesinnung des Dienstes am Hof ‘bestimmt wird.

Das menschliche Problem

Es steht dem Bischof nicht zu, die ökonomische und technische Seite der Fragen der Agrarpolitik zu erörtern, wohl aber möchte ich diese Gelegenheit benützen, um nicht nur ihnen -hier, sondern üiber ‘diese große Halle hinaus alle Bauern des Landes, aber ‘auch das ganze Volk, von dem

Die Fünftagekuh noch nicht gezüchtet

Jene sozialen Errungenschaften, die sich die industrielle Bevölkerung erkämpft hat, sind schon aus der Natur des landwirtschaftlichen Betriebes in vielen Fällen nicht anwendbar und nicht verwertbar. Der Bauer kennt keinen Achtstundentag, keine Fünftagewoche, die Fünftage- kuh, sagte einmal ein Bauemführer, ist noch nicht gezüchtet worden. Der Bauer kennt keinen gesetzlichen Mindesturiaulb, die Bauersfrau keine Schutzfrist vor und nach der Entbindung, keinen Karenzurlaub. All das gibt es am Bauernhof nicht und doch ist der Bauer der Berufsstand mit dem höchsten Berufsethos! Auch das muß deutlich gesagt werden.

Alle Opfer aber kann der Baue: nicht allein bringen. Er ‘hat eir Recht, zu verlangen, daß auch die Gemeinschaft ähren Teil dazu beiträgt. Und das tut die Gemeinschaf auch. Das müssen auch die Bauer anerkennen! Die Existenzs-ichenun eines lebensfähigen, gesunde Bauerntums ist für die Gesamtwirt schaft mit großen Kosten verbunden.

In der Erkenntnis der Wichtigkeit der mchtwirtschaftl’ichen Werte des Bauerntums für das Gemeinwohl hat sich die Gemeinschaft, hat sich der Staat nicht der moralischen Forderung verschlossen, den dafür notwendigen Aufwand aufzuibringen. Uber die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Maßnahmen gibt es bei uns heute Gott sei Dank keine Diskussion.

Können diese Werte aber heute noch erhalten werden, löst sich nicht die Umwelt auf, in der diese Werte eingeibettet waren? Das geschlossene Bauerndorf gehört gewiß heute der Vergangenheit an. Es hat keinen Sinn, vergangenen Lebensformen nachzu’trauem, auch romantische Sehnsucht kann sie nicht wieder zum Leben erwecken. Wir sollen die Gefahren, die in diesem Umwandlungsprozeß liegen, nicht übersehen, noch weniger aber die Möglichkeiten und Chancen. Der Bauer soll sich ton eigenen Dorf nicht als Fremder fühlen, nicht sozusagen ins Ausgedinge gedrängt, er soll sich nicht verbittert und mit dem Gefühl, im Stich gelassen zu sein, in eine SellbstiisoMerung zurückziehen. Er soll das neue Dorf, auch wenn es kein reines Bauerndorf ist, auch weiterhin mitformen und mitgestalten. Gerade in der Auflösung einer rein bäuerlichen Dorfstruktur kann sich eine neue Begegnung von Bauern und Arbeitern ergäben. Es sind ja seine Söhne, Bauernsöhne, die in den Städten, in den Industriebetrieben arbeiten, aber noch auf dem Dorfe wohnen. Die Väiter sollen Verständnis für die Söhne, für die Notwendigkeit ihres Handelns, die Söhne aber Achtung vor der Arbeit und der Leistung ihrer Väter haben. Die Söhne sollen nicht meinen, mit der väterlichen Ackerscholle auch ihre bisherige Lebensauffassung abstreifen, mit der Arbeit der Väter auch den Glauben der Väter ablegen zu müssen. Den Katholiken in der Stadt erwächst hier die große Aufgabe, diese Menschen ‘brüderlich als Mdt- christen aufziumehmen, ihnen die Geborgenheit einer neuen Gemeinschaft zu gaben. Das Dorf aber darf sie nicht ausstoßen, die Wärme der Heimat müssen sie immer noch spüren. Man darf sie am Dorf nicht nur mitwöhnen, man muß sie auch am Dorf mitreden lassen. Nur im gegenseitigen Vertrauen kann hier eine neue Lebensgemeinschaft erwachsen.

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