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Digital In Arbeit

Papstworte an die Arbeiter

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Die Welt feiert heute den 1. Mai, das „Fest der Arbeit“. Wer vermöchte mehr als der wahre Christ, diesem Festtag einen tiefen Sinn zu geben? Für ihn ist es ja ein Tag innigster Verehrung und Anbetung des Gottmenschen, unseres Herrn Jesus Christus, der uns zum Beispiel und zu unserer Heiligung den größten Teil seines Lebens in der Ausübung eines Handwerks als einlacher Arbeiter verbrachte. Für all diejenigen, die imstande sind, durch ihrer Hände Arbeit sich selbst und den Ihrigen ein friedliches und ruhiges Leben zu sichern, ist der heutige Tag ein Tag der Danksagung Gott gegenüber. Es ist ein Tag des festen Willens zur Ueberwindung des Klassenkampfes, und das durdi die Krait, die aus der sozialen Gerechtigkeit, aus der gegenseitigen Achtung und der brüderlichen Liebe um Christi willen hervorquillt; ein Tag schließlich, an dem die gläubige Menschheit feierlich gelobt, mit der Arbeit ihres Geistes und ihrer Hände eine Kultur zu schaffen zur Ehre Gottes, eine Kultur, die weit davon entfernt, den Menschen von Gott wegzuführen, ihn Gott immer näher bringt.

Das .Fest der Arbeit“ darf jedoch die Not der Arbeit nicht verdecken. Zu zahlreich sind noch immer diejenigen, die von der Geißel der Arbeitslosigkeit getroffen sind, und viele, wenn auch heute noch beschäftigt, stehen ständig unter der Furcht, ihre Arbeit zu verlieren. Auch dürfen jene nicht vergessen werden — und sie sind äußerst zahlreich, besonders unter den Feldarbeitern —, die infolge ihrer bloß halben Beschäftigung zu leiden haben, indem sie nämlich durch die verringerte Zahl ihrer Arbeitsstunden nicht genügend verdienen, um auch nur das Wesentliche für sich und für ihre Familie beschaffen zu können. Gerne erkennen Wir die vielfältigen Maßnahmen an, die in der letzten Zeit zugunsten der Arbeiter unternommen worden sind. Wie vieles bleibt jedoch noch zu tun übrig! Und Wir möchten euch gerne sagen, geliebte Söhne, wie sehr Wir an euren und eurer Lieben Sorgen Anteil nehmen. Wenn aber Italien bitter unter der Arbeitslosigkeit leidet, so handelt es sich hierbei und im Hinblick auf das beängstigende Gesamtbild keineswegs um ein Uebel, von dem lediglich Italien betroffen ist, sondern mehr oder weniger gleicherweise alle Völker Europas. Und jedem unvoreingenommenen Beobachter ist es einleuchtend, daß der Arbeitsmangel, wenigstens gegenwärtig, nicht allein zurückzuführen ist auf mangelnden guten Willen oder Mißbrauch der Gewalt jener, die Arbeit verschaffen könnten. Dieser Hinweis wird erhärtet durch die Tatsache, daß einige wesentliche Voraussetzungen, die durch mehr als hundert Jahre für die wirtschaftliche Entwicklung Europas günstig waren, sich heute vollständig verändert haben.

Sicher wird die Kirche auch heute, so wie immer, auf Seiten des Arbeiters stehen, wenn dieser unter einem ungerechten Arbeitsvertrag leidet, oder wenn kollektive Arbeitsverträge nicht eingehalten werden, oder wenn, ohne Verletzung der Rechte eines Dritten, die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeiters verbessert werden kann. Jetzt aber ist das Arbeitsproblem eine viel umfassendere Frage geworden, in der Europa solidarisch ausammensteht. Die gegenwärtigen Bemühungen, ein geeintes Europa zu schaffen — welche Wege hierzu auch immer beschritten werden, wenn sie sich nur als wirksam erweisen —, verlangen gleicherweise auch neue Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Nur so kann man eine Lösung des Arbeitsproblems erhoffen. Es irren jene, die da glauben, den Interessen des Arbeiters mit den alten Methoden des Klassenkampfes zu dienen; und noch mehr täuschen sich jene, die überdies noch glauben, ihre Anstrengungen dadurch rechtfertigen zu müssen, als ob sie das einzige Mittel wären, noch einen religiösen Einfluß auf die Welt der Arbeit auszuüben. Ohne Zweifel besteht der Vorteil einer europäischen Wirtschaft nicht hiiglich in einem vereinheitlichten und ausgedehnten Raum, wo der sogenannte Wirtschaftsmechanismus die Produktion und den Verbrauch regeln würde. Worauf es ankommt, ist, daß man im Rahmen des Wettbewerbs gleichzeitig mit dem Autbau der europäischen Wirtschaft zur Sicherung eines wahrhaft sozialen Lebens hinstrebt, zur Entwicklung der Familie von Geschlecht zu Geschlecht und daß unter diesem Gesichtspunkt and auf dieses Ziel hin die natürlichen Merkmale einer Produktionsorganisation in Raum und Zeit und eines vernunftgemäßen Verbrauchs zur Geltung kommen.

Das allein ist ein gangbarer Weg, auf dem die Völker mit großem Kinderreichtum, wie Italien, der europäischen Wirtschaft einen bedeutenden Beitrag von ihrem Reichtum an Handarbeit und ihrem Verbrauchspotential bieten können.

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