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Jugend vor gefallenen Götzen

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Es ist schon gesagt worden, daß den gewaltigen Zusammenbruch des tausendjährigen'“ Reiches vielleicht niemand in so erschütternder Tragik erlebt hat wie gerade unsere Jugend. Es wurde auch schon darauf hingewiesen, vor welch schwierigen Problemen die Jugenderziehung heute steht. Aber immer verhallen diese Stimmen vor den gewaltigen Ereignissen, unter denen die Welt noch immer erbebt. Atombombe, Atomspionage, Persienfrage, Nürnberget Prozeß, Greuel der Konzentrationslager, erste Nachkriegswahlen in ganz Europa — Geschehnisse von eminenter Bedeutung; Hungersnot hier, Lebensmittelknappheit da — erschütternde Tatsachen auf der ganzen Welt. Ist es ein Wunder, wenn die Jugend dabei zu kurz kommt? Und doch ist das Jugendproblem das ausschlaggebendste, ist wichtiger als die Atomforschung und Radar. Hier handelt es sich um den Menschen, hier handelt es sich um die nächste Generation und wie wir diese bilden und formen, so werden die Menschen der nächsten hundert oder zweihundert Jahre sein.

Die Generation, die jetzt im Mannesalter steht — hat die eine wichtige Aufgabe: neben dem Wiederaufbau unseres Vaterlandes unsere bitter erungenen Erfahrungen an die Jugend weiterzugeben, sie zu wahrem Menschentum zu erziehen, auf daß nie mehr ein solches Morden entstehe, wie es die letzten zehn Jahre gebracht haben.

Vergegenwärtigen wir uns die Lage, in der sich die Jugend befindet, die heute achtzehn oder vierundzwanzig Jahre alt ist. Sie alle gingen durch die neue Schule und durch die Hitlerjugend. Man steckte sie mit zehn Jahren in eine Uniform; sie gefiel, wie alles Neue der Jugend gefällt. Doch wie bald war

si*ihrer überdrüssig, ich weiß es aus Hunderten von Beispielen. Aber die Uniformierung ging weiter im Arbeitsdienst, in der Wehrmacht; man stand stramm, man marschierte zackig, man wurde sportlich „geschult“ und weltanschaulich „ausgerichtet“, man war im Heimabend und beim Appell, bei der, Morgenfeier und im Lager — man war auch geistig uniformiert worden und war des Zwanges überdrüssig, bevor man zur Wehrmacht kam. Ich habe es wiederholt erlebt, daß die Werbungen der Wehrmacht in der Schule versagten, gänzlich versagten, weil man müde war alles soldatischen Tuns.

Eine Mutter, die ihren Jungen im KLV-Lager besuchte, erkundigte sich nach Essen und Lernen und HJ-Dienst. Und als sie fragte, wie ihr Bub denn die Freizeit verbringe, da fragte er erstaunt: „Freizeit? Die wird uns ja gestaltet!“ Bedenken wir die Tragik, die in dieser Antwort eines Dreizehnjährigen liegt. Eine Jugend, die keine freie Zeit mehr hatte, einmal auszuspannen, den eigenen Neigungen nachzugehen. Mit

fiel es acht Jahre lang auf: es war kein Bub mehr dazu zu bringen, die in unserer Jugend so beliebte Sammeltätigkeit aufzunehmen: Briefmarkensammeln, Schmetterlingsammeln, Blumensammeln. Es fehlte die Zeit, denn sie wurde „gestaltet“!

Diese innere Uniformierung des Geistes war bestimmt nach zwei Gesichtspunkten: In der Formierung eines Ewigkeitswertes der deutschen Nation und des großdeutschen Reiches und in dem unbedingten Glauben an die Unfehlbarkeit des Führers verkörperte sich die Weltanschauung, die mit Begriffen germanischer Mythologie und biologisch-rassischen Erbmassefloskeln einer Herrenrasse verbrämt, der Jugend geboten wurde. Von den ewig gültigen Gesetzen des Christentums hatte diese Tugend keine Vorstellung mehr, sofern nicht das Elternhaus hier rettend einsprang.

Und nun brachen diese beiden Eckpfeiler der modernen nationalsozialistischen Weltanschauung kläglich nieder. Die Götzen, die sie trugen, sind gefallen. Alles ist anders, als es dieser Jugend gezeigt wurde. Aus diesem

furchtbaren Zusammensturz sind vielleicht viel mehr Entgleisungen der Jugend im letzten Jahre zu verstehen, als man meint. Daß die Jugend sich viele Freiheiten selbst nimmt, die sie noch nie hatte, daß eine wahre Vergnügungssucht eingerissen ist, wäre nicht notwendig, ist aber noch kein Übel. Daß aber ein erheblicher Teil der Jugend ohne sittliche und weltanschauliche Grundlage dasteht, daß sie wirklich jenseits von Gut und Böse zu stehen scheint, weil sie die sittlichen Begriffe von Gut und Böse nie kennengelernt hat, darin scheint mir das Grundübel 2m liegen. Daß ihr jeder Begriff von Recht und Unrecht genommen wurde, weil *üir Recht nur das angemaßte Recht des nordisch-germanischen Herrenmenschens war, dem erlaubt war, was ihm nützte, daß ihr der Glaube an Gottheit und Unsterblichkeit genommen wurde, daß ihr vor allem viele, viele Kinderfreuden geraubt wurden, die mit unserem abendländisch-christlichen Jahrlauf zusammenhängen, daß ihr die richtige Einstellung zur Autorität fehlt, weil sie sich ja selbst führen sollte: darin liegt das Hauptproblem der heutigen Jugenderziehung. Denn hier hat die Jugenderziehung einzusetzen und sie darf nicht grob oder propagandistisch sein. Sie muß zart und behutsam die Jugend anrühren, denn es handelt sich um ihre Seele. Ihr wieder die abendländisch-christlichen, ewig-gültigen Ideale der Menschlichkeit und der Menschheit anzuerziehen, darin liegt die gewaltige Bedeutung 3eT heutigen Formung unserer Jugend und die Verantwortung aller der Menschen, denen unsere so schwer enttäuschte Jugend anvertraut ist.

„In Christus stehen wir an der Zeitwende der Menschenkultur: Gott hat seine Offenbarung in die Welt des griechischen Geistes und des römischen Imperiums hineingesprochen, und die Kirche hütet diese Wahrheit in den griechischen Lauten ihres heiligen Buches und in der Erblehre, die vom lateinischen Rom ausgeht. Darum wird die Kirche griechisch sprechen, auch wenn für eine entgeistigte Welt das alte Hellas in abgründige Vergessenheit sänke; und sie wird lateinisch beten, auch wenn alle Barbaren in Zukunft der Sprache Roms vergäßen. Gleich wie es bis zum Ende der Menschentage gutes Brot geben wird und edlen Wein, Wasserquellen und Ölfrüchte, und dies um des Mysteriums der Christen willen, also ist auch das Erbe von Hellas und Rom heimgenommen in den Schoß der Kirche, immerdar bereit, von dort in neuer Geburt hervorzubrechen zu schöner Jugend. Darum ist der Humanismus des Christen die Liebe zur Sprache Gottes. Und in den Geschicken der Kultur, die dem offenbarenden Gott die Menschensprache bereitet hat, sieht er den auf Christus hindeutenden Finger des Geistes walten. Das Licht, das mitten in menschlicher Finsternis sich in Hellas entzündet hat, ist nur erborgtes Sonnenlicht: Christus aber ist die Sonne.“

Hugo R a h n e r, „Griechische Mythen in christlicher Deutung“

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