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Die Weltorganisation zeigt deutlich kafkaeske Züge

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Das Scheitern der UNO liegt auch an ihrem Personal. Die Weltorganisation braucht zum Fünfziger eine Entschlackungskur. Ein Erfahrungsbericht aus dem Genfer UN-Zentrum.

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Das Scheitern der UNO liegt auch an ihrem Personal. Die Weltorganisation braucht zum Fünfziger eine Entschlackungskur. Ein Erfahrungsbericht aus dem Genfer UN-Zentrum.

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Wenn deutsche und französische Manager einen Vertrag abschließen, kommt es regelmäßig zu Völkermißverständi-gung, pflegen doch die einen zuerst zu signieren und dann zu speisen, während die anderen traditionell erst mit vollem Bauch unterschreiben. Kultur-spezifische Rituale und das Unverständnis darüber, potenziert um die Anzahl der UN-Mitgliedstaaten, das ist es, was sich in den Vereinten Nationen abspielt.

Im Bestreben, die komplexe Wirklichkeit des multikulturellen Umfelds gepaart mit den globalen Aufgaben für sich zu ordnen, fliehen nicht wenige in dumpfeste Klischees über Kollegen anderer Herkunft. Manche beschreiben das Arbeitsklima in den internationalen Organisationen par ex-cellence gar als das rassistischste der Welt.

Sollen in diesem Klima Realvisionen für Völkerverständigung und Frieden gedeihen? Nationalismen in der Völkergemeinschaft sind nur eine, und zwar eine grundlegende Widersprüchlichkeit, an der die Organisation oft scheitert.

Wie kann man - um einen weiteren, sehr konkreten Widerspruch zu zitieren '■*■ Personal über Jahre ohne sozialrechtliche Absicherung via Ketten-vertrage an sich binden, wenn gleichzeitig eine UN-Agentur, die International Labour Organization, für soziale Sicherheit eintritt? Wie will die UNO glaubwürdig für demokratisch-partizipative Entwicklung für alle eintreten, wenn intern über die Köpfe ganzer Organisationen hinweg entschieden wird? So geschehen beim Angebot Boutros Ghalis an den deutschen Kanzler Helmut Kohl, die Zentrale des Entwicklungsprogramms

UNV (United Nations Volunteers) von Genf nach Bonn zu verlegen.

Die für Hilfsoperationen nicht gerade förderliche Trennung von der humanitären Metropole, ohne Konsultierung der Betroffenen, fügt sich in einen Trend zur Zerfledderung der Vereinten Nationen. Frei nach dem Motto: Jedem wichtigen Geberland eine UN-Zentrale.

Hat einer einmal den Sprung zu einem richtigen Vertrag als UN-Beamter geschafft, machen es die Spielregeln den einzelnen UN-Agenturen fast unmöglich, sich von ihm wieder zu trennen.

Das paßt zu einer Personalevaluierung, die in manchen Organisationen per Anordnung für fast alle Mitabeiter in „You did a good job” mündet. Befriedigend, setzen! Was die Lähmung und Erstarrung in einzelnen Teilbereichen und das kafkaeske Zuständigkeits-Pingpong bei neuen Vorschlägen von Dienstjüngeren erklärt. Die Konsequenz: Doppel-und Dreifachgleisigkeiten zwischen Teilen des sogenannten UN-Systems. Da nimmt dann auch nicht wunder, wenn Querschüsse und Streitigkeiten

über Funktionstitel das Erscheinen eines Telefon Verzeichnisses - und damit die interne Kommunikation - oder ein gültiges Organigramm torpedieren können. Von administrativen Absurditäten wie Formularen, die Formularen vorgeschaltet sind, die ihrerseits wieder in Formulare sehr ähnlichen, teils irrelevanten Inhalts münden, ganz zu schweigen. Scheinbar eine Kombination der Schwächen nationaler Bürokratien. Auch „Admin”-Experten können oft nicht erklären, warum sie all diese Daten „brauchen”.

Freilich lähmen auch nationale Interessen die Arbeit der Vereinten Nationen.Bei bestimmten Staaten stehen selbst UN-Beamte in vergleichsweise unbedeutenden Positionen unter mächtigem Druck ihrer eigenen Diplomaten - ungeachtet des Abschwörens von nationalen Interessen bei Eintritt. Faktum ist, daß bei Personalfragen nicht selten der Beisepaß statt der fachlichen Qualifikation entscheidet.

Und dennoch: So sehr Strukturen und Denkschemata erkennen lassen, daß die UNO in die Jahre gekommen ist, so faszinieren und motivieren auch heute, 50 Jahre nach ihrer Gründung, die Ziele und unbestrittenen Erfolge - vor allem bei zeitlich befristeten Operationen wie etwa der Entwicklung Mosambiks von einem hochmilitarisierten Volk hin zu einer Zivilgesellschaft samt Wahlen. Zu sehen an Engagement und Kompetenz von UN-Fachkräften, die sich vor allem an der Peripherie in Selbstausbeutung ergehen.

Die UNO als (Pro)Motor nachhaltiger, demokratisch verteilter Entwicklung - gut, teilweise sogar vi-sionär.Fragt sich nur, ob sich für viel guten Willen jede Menge hätschelte Strukturen und für einen in sich oft zum Selbstzweck erstarrten Apparat der Aufwand aus Steuermitteln auszahlt - außer für Airlines und die Papierindustrie. Der Autor ist

Journalist für deutsche und österreichische Medien in Wien, war bis April Pressereferent des Entwicklungsprogramms „UnitedNations Volunteers” in Genf.

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