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Eine deutsche Universalgeschichte

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DEUTSCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALGESCHICHTE. Von Peter Heintz Seraphim. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden. 248 Selten. Preis 17.50 DM.

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DEUTSCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALGESCHICHTE. Von Peter Heintz Seraphim. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden. 248 Selten. Preis 17.50 DM.

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Trotz des Bedeutungsgewichtes der wirtschaftlichen Prozesse sind wir arm an wirtschaftsgeschichtlichen Darstellungen, ob es sich um eine globale Wirtschaftsgeschichte oder um regional begrenzte Schilderungen handelt. Das gilt auch für die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Wenn man von den Werken von Lütge und Bachtel absieht, besitzen wir eigentlich nur monographische Darstellungen. Gleiches gilt für Österreich. Im Schulgesetz ist zwar ein „wirtschafts-kundlicher“ Unterricht allgemein verankert, es fehlt jedoch eine Grundlagenliteratur, auf welche sich die Lehrer stützen könnten, es sei denn, sie beschränken sich auf eine globale Wirtschaftsgeschichte. Jedenfalls kann an den allgemein bildenden höheren Schulen der Zugang zum Phänomen der „Wirtschaft“ am leichtesten über die Wirtschaftsgeschichte gefunden werden. Wir müssen daher für jede fundierte und unbefangene Darstellung des Ablaufes der wirtschaftlichen Prozesse (als einem historischen Nacheinander) dankbar sein.

Das vorliegende Buch von Professor Seraphim bietet in konzentrierter Form eine Geschichte der Wirtschaft in jenem Raum, den wir heute als „Deutschland“ bezeichnen. Die dargestellte Periode reicht von der Frühzeit bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges.

Weil die ökonomischen Ereignisse nicht autonom und für sich allein zu verstehen sind, leitet der Verfasser in die jeweilige politische und kulturelle Situation ein, um auf diese Weise die allseitigen Bezüge der historischen Ereignisse offenkundig zu machen. So weit soziale Tatsachen angeführt und gedeutet werden, sind sie den ökonomischen Ereignissen zugeordnet.

Für eine Neuauflage sei auf einige korrekturbedürftige Stellen hingewissen: Auf S. 87 soll es wohl „Ubersetzung“ und nicht „Überbesetzung“ heißen, auf Seite 109 „Depotscheine“ und nicht „Schuldscheine“, da die ersten Banken ja nicht Kreditvermittlungsanstalten waren. Die Steuern sind ein Teil der Abgaben (S. 110). Aus der Formulierung auf S. 114 könnte man eine Billigung des Verfassers für die Mißhandlung von (faulen) Arbeitern herauslesen. Die Kinderarbeit setzte zeitweilig schon vor dem achten Lebensjahr ein (S. 129). Bischof (nicht allein Freiherr) von Ketteier kann nicht unmittelbar mit der Errichtung christlicher Gewerkschaften in Zusammenhang gebracht werden (S. 168). Die Vertreter der katholischen Soziallehre werden übrigens mehr als stiefmütterlich behandelt (das gilt auch für das Literaturverzeichnis). Was soll der Ausdruck „römische“ Kirche in einem wissenschaftlichen Werk (S. 197)? Auf Seite 223 muß es richtig „Creditanstalt“ und nicht „Kreditbank“ heißen. Die Reduktion der Zahl der Arbeitslosen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ist nicht mit dem Anstieg der Beschäftigungsziffern abgestimmt. Es gab eine Reduktion der Arbeitslosenziffern um etwa 4,7 Millionen, aber einen Anstieg der Beschäftigtenziffern von nur 2,7 Millionen. Die Differenz müßte erklärt werden, da sie und die Interpretation der Ziffern für die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik der ersten Epoche sehr wesentlich sind.

Die Schwierigkeit, auf nur 240 Seiten die ungeheure Fülle von wirtschafthohen Fakten geordnet wiederzugeben, hat der Verfasser ausgezeichnet zu meistern verstanden. Darüber hinaus ist durch die ständigen Hinweise auf das Ganze des geschichtlichen Geschehens aus dem Werk eine Art deutsche Universalgeschichte geworden, unter peinlicher Vermeidung des Versuches, der Wirtschaft einen das geschichtliche Geschehen alleinbestimmenden Einfluß zuzumuten. Ein Sachwortverzeichnis würde die Benutzbarkeit des Buches erleichtern.

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