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Jugoslawische Wegweiser
Der freie Journalist und TV-Autor Klaus Liebe, gebürtiger Berliner, Jahrgang 1938, ist um Verständigung bemüht; folgerichtig ist er darauf aus, das Land, mit dem er seine Leser verständigen möchte, diesen verständlich zu machen. Dabei orientiert er sidi an der Geschichte und den gegenwärtigen Ereignissen. Er dringt auch — ohne abzuschweifen — in soziologische, ökonomische, ideologische und politische Realitäten vor und vermeidet dabei, so schwer es ihm auch faUen mag, allzu subjektive Wertungen. Da er sich, das liegt wohl an den aus dem TV-Me- tier Überkommenen Gewohnheiten, dabei igelegentlidi ins Feuilletonlsti- sche verirrt, wird freilich der Sachbericht mitunter in, wir mir scheint, unzulässiger Weise suhjektiv-farb- froh. Aber daran mögen audi die Lektorate die Schuld zu tragen haben: in völliger Verkennung des (individuellen) Lesers, streben sie mehr und mehr nach (pauschalen) „Maschen“ und „Rezepten“ die (angeblich oder wirklich, stets aber zum Schaden der Sache selbst) den „Erfolg“ verbürgen sollen. Dieser Erfolgsbegriff bezieht sich aber nicht auf die Bewältigung von Form und Inhalt, die einander bedingen, sondern auf die „verkaufte Auflage“, er wird also, nicht von qualitativen, sondern von quantitativen Maßstäben beeinflußt; sehr zum Schaden für manchen Autor, der es „unlekto- riert“ wahrsdieinlich doch viel besser könnte. Audi die immer marktschreierischer werdeiiden Begleittexte der Verlage zerstören das Vertrauen des Lesers. Was etwa soll die Verkündigung, Klaus Liebe kenne „Jugoslawien fast 20 Jahre“? Vor zwanzig Jahren war er 16 imd nach der von ihm gegebenen Schilderung noch etliche Jahre mit seinem Werdegang befaßt. Der Inhalt seines Buches bestätigt dem Kenner der Materie, daß er diese beherrscht. Er hat daher solche Lockrufe gar nicht nötig.
Liebe geht auch auf den Kärntner Ortstafelkonflikt ein. Das geschieht ln offenkundiger Eile, und in solcher Hast unterlaufen eben Fehler. Etwa der, daß „in Südkämten“ 40.000 Slowenen leben. Diese Zahl Ist umstritten imd so apodiktisch nicht nachweisbar. Sie könnte niedriger sein, ist aber allem Anschein nach höher. Auch die Behaiuptung, der Kärntner Abwehrkampf 1918/1919 sei von den ,JCämtner Bauern“ geführt worden, ist falsch. Selbstverständlich waren auch sehr viele Bauern unter den Ahwehrkämpfem; aber mehr noch stadt- und landbür- gerliche Elemente, Studenten, ja, Gymnasiasten und eine intellektuelle, deutsch-nationale Elite der damaligen Kärntner Sozietät. Die jugoslawischen Ansprüche auf Teile
Kärntens wurden nicht erst von den italienischen Faschisten zunichte gemacht, sondern die Politik Italiens war auch schon in der vorfaschistischen Zeit anti-jugoslawisch (siehe die Wegnahme Istriens und der Marsdi auf Fiume). Ebenso irre-
führend ist es, den Ortstafelkrieg 1972 auf den „Unmut der deutschsprachigen Kärntner“ zurückzufüh- ren. Tatsächlich gab und gibt es sehr, sehr viele deutschsprachige Kärntner, die mit diesem chauvinistischen Ausbruch nichts zu tun hatten und nichts zu tun haben wollen, ja, die ihn für ein Unglüdt halten. Der eigentliche Ortstafelkrieg hatte seinen Höhepunkt übrigens nicht im Frühjahr 1972, sondern dm Sommer und Herbst dieses Jahres. Für solche Fehlleistungen entschädigt uns der
Autor aber durch andere, korrekte Wiedergaben und durch eine wirklich reine Gesinnung, die man gerne eine europäische nennen möchte. Und er entschädigt auch durch die Wiedergabe der vielen „Minderheitenprobleme“, die der jugoslawische Staat mit sich brachte und mit sich trägt. Denn so wird dem Leser bewußt, daß es nicht nur eine JKämt- ner Frage“ gibt, sondern daß diese innerhalb der vielen Fragen nur eine und weder für Jugoslawien ncxh für Österreich die allergrößte ist.
Ein eigener Abschnitt des lesenswerten Buches geht auf Albanien ein. Der allerdings leidet darunter, daß es Klaus Liebe ebensowenig wie anderen westlichen Autoren möglich war, dieses kleine Land frei zu durchstreifen. Was er aber aus Geschichte und Politik wiedergibt, ist eine eindrucksvolle Zusammenstellung von Voraussetzungen und Fakten, die sich als Orientierungshilfe sehr bewähren.
Die auf Jugoslawien bezogene Schlußfolgerung des Autors, es werde wohl niemals eine Jugoslawische Nation gehen, wird man in solcher Form nicht überall teilen. Mit Sicherheit wirken in diesem Vielvölkerstaat geschichtliche, kulturelle, religiöse und andere Verschiedenheiten fort, die dem Werden einer Nation im Wege stehen. Doch sollte man darüber nicht jene höhere Gemeinschaften bildenden Kräfte übersehen, die mit der Zeit Nationen schaffen. Weder die eine Strömung ist ausgelaufen noch die andere hat sich durchgesetzt. Diesbezüglich ist also alles noch offen, wenn auch weniger offen als etwa vor zwanzig, dreißig und mehr Jahren. Nationen, die weiß Gott nicht aUes sind, was die menschliche Gesellschaft hervor- zuibringen vermag, haben ihren Anfang und ihr Ende: Jugcjslawien hält da etwa in der Mitte ziwschen bei- dem.
Liebes Buch ist interessant: für Kenner zur Auffrischung ihrer
Kenntnisse und für Touristen, die daraus anschaulich lernen können, wo sie sich befinden.
6MAL JUGOSLAWIEN, IMAL ALBANIEN, von Klaus Liebe, Piper & Co. Verlag. 532 Seiten, 36 D-Mark.
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