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Lehrmeister Winter

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Die Wiener haben in diesem Winter vor allem am Beispiel der Wasser-und der Gasversorgung erfahren müssen, daß für bestimmte Naturereignisse größeren Ausmaßes von den Verantwortlichen keine materielle, ja nicht einmal eine gedankliche Vorsorge getroffen wurde. Es gibt jetzt nur Unverantwortliche, aber nicht genug Männer in der öffentlichen Verwaltung, die den Mut haben, eigene Unterlassungsfehler freimütig einzu-bekennen und Abhilfe zu garantieren. Man verläßt sich lieber auf die Bevölkerung, auf die Disziplin des lieben „kleinen Mannes“. Dieser Rückgriff hat aber, sobald man das peinliche Gefühl gewinnt, daß an keine wirksame Behebung der Mängel gedacht ist, keinen Adressaten mehr.

Ein Gutes hat aber dieser Winter mit seinen Versorgungsängsten für uns alle gehabt: Wir haben wieder einmal erfahren, daß Wasser und ein sonst in bedenklicher Lagergröße vorhandener Brennstoff (Kohle) keineswegs fast freie Güter und stets in Überfluß verfügbar sind. Das gilt immer weniger für das Trinkwasser, das man nicht synthetisch gewinnen kann. Die Fixierung so mancher Politiker lediglich auf die Probleme ihrer Partei und ihre höchstpersönlichen Konsumchancen haben in manchen Gebieten Österreichs die Organisation des Wasserhaushaltes korrumpieren lassen. Und jetzt noch eine Kältekatastrophe, für die man „bedauerlicherweise“ nicht einmal eine Gegenpartei verantwortlich machen kann, eine Katastrophe mit Versorgungszuständen, die an die Situation des April 1945 erinnern.

Jedenfalls haben wir, und auch die von Prestige- wie Faschingssehnsüchten geschüttelten Verantwortlichen, ein heilsames Krisenbewußtsein dazu-gewonnen.

Gleichzeitig erkennen wir, daß der Versorgungsstaat, von dem wir 'so Übles zu sagen wissen (auch jene, die seine Auftragsausschreibungen willig annehmen), eigentlich nur in Ansätzen vorhanden ist. Bei Aktualisierung von elementaren Versorgungsnotständen sind wir keineswegs „versorgt“ und durch einen Katalog von abrufbereiten Maßnahmen sachkundiger Behörden gegen Not und Pestilenz abgesichert.

Dazu kommt, daß die Initiative der Menschen weithin abgestorben ist. Die Mehrheit der Menschen in der Stadt Wien ist auf kommunale Fremdfütterung abgestellt. Die Haushalte, ehedem echte Konsumwirtschaften, ein Geflecht von langperiodischen Maßnahmen und disponiblen Vorräten, sind nur noch Residualhaushalte, Kümmerbetriebe, bestenfalls Konsumgemeinschaften, wenn nicht Schlafkommunen. Vom Haushalt als dem ursprünglichen Wirtschaftsverband der Menschheit ist nichts als ein steuerlicher Terminus geblieben. Käme es tatsächlich einmal zu einem langdauernden Versorgungsstillstand, so hätte ein großer Teil der Haushalte in der Stadt Wien vielleicht einen größeren Vorrat hochprozentiger Prestigeälkoholika in den Hausbars, aber kaum Lebensmittel für den Bedarf einer Woche. Den Empfehlungen der Bundesregierung an die privaten Haushalte, in einem angemessenen Umfang haltbare Lebensmittelvorräte für den Eventualfall anzulegen, haben die wenigsten Haushalte entsprochen; vielfach mit dem Hinweis auf den Geldmangel, der aber keineswegs merkbar zu sein scheint, wenn es um die Finanzierung von Heurigenpartien und unsinnigen Prestigekäufen geht. Sosehr man das Versagen so mancher Verantwortlicher beklagen muß: die Mehrheit der Bevölkerung hat da, wo sie sich selbst helfen sollte, den Stadtvätern kein allzu großes Beispiel gegeben und verlangt von den Politikern, was sie selbst in ihrem privaten Wirkungskreis zu tun gröblich unterlassen hat.

In den Haushalten sind (bezogen auf 1961) nicht weniger als fünf Prozent der Ernährungsausgaben für den Erwerb von Alkohol gebunden, das ist, mechanisch gerechnet, das Einkommen von mehr als einer Lohnwoche. Kohle wird oft im gleichen Gewicht nach Hause getragen wie Bier. Wenn die Versorgung auch nur einige Tage unzureichend ist, kann es daher zur Versorgungskatastrophe im einzelnen Haushalt kommen, an der aber keineswegs die böse Behörde Schuld trägt, sondern vor allem die jeweilige Haushalt-„Führung“, welche die Rangordnung der Deckung des Haushaltsbedarfes verkehrt hat.

Das allgemeine Absterben des Gefühls für Haushalten im ökonomischen Sinn, der ständige Rückgriff auf die Behörden, auf „den“ Staat, führt eine Verkümmerung auch der gesellschaftlichen Organisation herbei und reduziert den ohnedies karg zugemessenen staatsfreien Raum. Die Folge ist eine geradezu provozierte Verstaatlichung auch unseres Verbraucherverhaltens, eine Selbstamputation unserer Verbraucherfreiheit, die Gleichsetzung vieler Privathaushalte mit Anstaltshaushalten.

Im Rahmen einer unverkennbaren Rückbildung so vieler Haushaltführungen sind wir auf dem Weg, zu Pflegekindern der Behörden zu werden. Die Notlagen dieses Winters haben diesen Tatbestand angedeutet.

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