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Politik ist auch ein Kampf um Worte

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Was darf von einer Regierungserklärung erwartet werden? Sie ist Visitenkarte der Regierung, die bei ihrer Vorstellung im Parlament abgegeben wird.

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Was darf von einer Regierungserklärung erwartet werden? Sie ist Visitenkarte der Regierung, die bei ihrer Vorstellung im Parlament abgegeben wird.

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Durch die Bekanntgabe dieser politischen Absichtserklärungen und Verwendungszusagen werden Regierungs- und Oppositionsparteien im Parlament, vor allem aber die Öffentlichkeit mit der künftigen Regierungspolitik konfrontiert. Von der Regierungserklärung erwartet man die Behandlung folgender Fragen:

■ Wie ist die politische Gesamt- und Problemlage?

■ Welche Probleme werden als zentral erkannt?

■ Welche dieser als zentral erkannten Probleme sollen innerhalb welcher Zeit und mit welchen Mitteln gelöst wrorden?

■ Was wrird fortgesetzt und was wird verändert?

■ Worauf konnte sich die Regierung einigen und was wurde ausgeklammert?

Die Regierungserklärung ist auch ein Ausdruck des Zeitgeistes. Vor allem drückt sie aus, welchen Geistes die Regierung ist. Regierungserklärungen gehören wohl vorbereitet und vorberaten. Sie sind Teil der Kultur wie Kunstwerke, Werke der Wissenschaft, des Rechts, der Massenmedien … Sie gehören zu jenen Sprach werken, die über Tradition und Gegenwart einer Gesellschaft Auskunft geben, aber auch über Versuche und Irrtümer bei der Strukturierung der Zukunft. Deshalb sollte bei der Erstellung dieses politischen Sprachwerks in mehrerer Hinsicht auf Qualität Wert gelegt werden. Leider widerspiegelt die Regierangserklärung oft mehr das Zeitdilemma der Regierenden als deren Geist und den „Zeitgeist“. Trotz der Zeitknappheit darf es aber nicht dazu kommen, daß Regierungserklärungen in Hüftschußmanier aus Anmeldungen der Ressorts und ihrer Restanten erstellt werden.

Politik könnte heute wieder mit Schönheit zu tun haben. Aber Regierungserklärungen sind selten ein ästhetischer Genuß. Sie enthalten nicht einmal mehr Rhetorik. Man findet in ihnen analytische, konzeptionelle, manchmal sogar durchsetzungsorientierte und nachprüfbare Aussagen. Ihre Sätze sind nicht Rechtssätze, sondern Absichtserklärungen, Verwendungszusagen, aber immerhin Richtschnur und Maßstab der Regierungstätigkeit. Informative Planungselemente können die Öffentlichkeit auf die künftige politische Entwicklung vorbereiten und die Durchsetzung darauf hinzielender Maßnahmen erleichtern.

Politik braucht Visionen und einen Möglichkeitssinn. Sie braucht aber noch mehr einen Wirklichkeitssinn und die Verwirklichung von Konzepten. Regierungserklärungen sind mehr als ein Parteiprogramm und mehr als ein Wahlprogramm, Richtlinien für die Regierangstätigkeit. Sie müssen nicht ein detailliertes Konzept für alle Bereiche der Politik sein, schon gar nicht eine Summierung von Einzel programmen und Projekten, sozusagen ein „Regierangs- und Verwaltungsplan“. Als Mittelding von politischem Programm und Regierungsplan soll sie aber sagen, wohin die Reise geht. Dabei sind die verschiedenen Adressaten zu berücksichti fen, insbesondere Inland, Ausland;

Fahler, Anhänger, Andersdenkende; Massenmedien; die Professionals der Politik und der organisierten Interessen; last but not least die Büro- kratie und die Experten.

Die Multifunktionalität der Re gierungserklärung wird zu wenig beachtet. Regierung bedeutet im Alltag Verwaltung. Die Regierungserklärung könnte als politisches Führungsmittel im Sinne eines „Management by objectives“ fungieren.

Als Schema einer idealen Regierungserklärung läßt sich folgendes feststellen: sie muß analytische, konzeptionelle, programmatische und implementative Aussageelemente sprachlich gut formulieren. Nach einer „ Global-“analyse der Lage und der in ihr angelegten Trends, Chancen und Gefahren soll die politische Konzeption folgen. Es geht um die Leitgedanken, Gestaltungsfelder und Problembereiche, sowie deren Vernetzung. Diese Leitgedanken und die einzelnen Gestaltungsfelder und Problembereiche sind bei der Benennung von Prioritäten zu verknüpfen. Dabei sind geplante Maßnahmen und Programme und die Wirkungserwartung zu erläutern. Vergleiche zwischen Wünschbarkeit und Durch- setzbarkeit, Erwartungen und Machbarkeit sind zugleich die Rechtfertigung, warum manches jetzt (noch) nicht verwirklichbar erscheint. Schließlich sind Zeitbegrenzungen und die Finanzierung der geplanten Maßnahmen und Programme festzulegen.

Regierungserklärungen haben viel mit der Kunst der Vorausschau und der gedanklichen Vorwegnahme von Handlungsabfolgen zur Erreichung von Zielen zu tun. Aber auch mit Sprache. Politik ist auch ein Kampf um Worte und ein Sprachspiel. Die Regierungserklärung ist ein Zeichen dafür, daß und wie Politik durch Worte gemacht wird. Richard Nixon sagte oft, „that the best politics is poetry rather than prose“ und er unterschied zwischen „poete“ und „word possessors“. Regierungserklärungen sollen die Zukunft strukturieren, über die wir aber wenig wissen. Im nachhinein geben sie Information über die Tradition einer Gesellschaft. Gerade die Demokratie als eine Form der Gesellschaft, welche diese bei möglichster Vermeidung von Gewalt durch Worte friedlich verändern soll, sollte auf die Qualität von Regierungserklärungen Wert legen.

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