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Religion darf nicht „privatisiert" werden

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Michael Wilhelm, Sekretär der Bischofskonferenz, über gelöste und ungelöste Probleme (dazu auch Seite 1) im Miteinander von Kirche und Staat.

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Michael Wilhelm, Sekretär der Bischofskonferenz, über gelöste und ungelöste Probleme (dazu auch Seite 1) im Miteinander von Kirche und Staat.

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DIüFüRCHE: Paragraph 188, Umsatzsteuer, Meldegesetz, Konkordatsdebatte — das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist immer öfter Gegenstand öffentlicher Debatten... Michael Wilhelm: Ich glaube nicht, daß es eine rasant neue Entwicklung gibt, es sind nur bestimmte Faktoren zusammengekommen. Aber natürlich gibt es innere Zusammenhänge. Zur Frage des Paragraph 188, also der Bestimmungen gegen Religionsverhöhnung: hier haben die Bischöfe schon länger ihre Sorge angemeldet - weniger weil die Kirche meint, sich besonders verletzt fühlen zu müssen, sondern in der Beobachtung eines Kulturverfalls im Umgang miteinander. Das betrifft nicht nur die Beligionen.

DIEFURCHK: Geht es dabei nicht eher um die Signalwirkung einer Abschaffung des Paragraphen 188? WILHELM: Ja. Wir hatten das gleiche beim Ehebruch. Solange der Staat bei der zivilen Ehe Treue einfordert, müßten konsequenterweise Verstöße mit Folgen versehen werden. Die andere Möglichkeit wäre, daß die Treue beim staatlichen Ehevertrag folgerichtig kein Gegenstand mehr ist. Aber zurück zum Paragraph 188: man kann sich natürlich nicht nur auf das Gesetz zurückziehen, das wäre kindisch. Darum haben wir auch ein Gesprächsforum „Freiheit des Glaubens, Freiheit der Kunst" initiiert. Das Unerfreuliche an der Debatte war aber die Instrumentalisierung seitens gewisser politischer Kräfte, die glauben, damit eine gewisse Resonanz zu erreichen... DIEFURCHE: Sie meinen das Liberale Forum...

WILHELM: So ist es. DIEFURCHE: ...das ja etwa auch bei der Debatte über das Konkordat auf Konfrontationskurs zur Kirche geht Ist diese Haltung symptomatisch für das gesellschaftliche Klima? WILHELM: Nein. Mich hat nur gestört, daß manches unwidersprochen hingenommen wurde. Die Argumentation, man sollte keinen Unterschied machen zwischen Religion und Weltanschauung und warum sollte man daher Religionen privile-gieren, klingt auf den ersten Blick sehr gewinnend. Aber das stimmt halt so nicht - wenn man einen Rest von Metaphysik bejaht, ist eben eine Religion etwas ganz anders als eine weltanschauliche Position. Auch Heide Schmidt sagt, sie ist eine Katholikin, also müßte man annehmen, daß auch sie diesen philosophischen Hintergrund hat.

DIEFURCHE: Thema Meldegesetz -sind Sie mit der gefundenen Regelung zufrieden?

WILHELM: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch bleibt einiges offen, weil wir Daten wie Beruf oder Familienstand auch jetzt nicht bekommen. Aber dabei ist es ja nicht nur um die Frage der Kirchenbeiträge gegangen, sondern auch um ein Zeichen gegen die Tendenzen zur „Privatisierung" der Religion, die im eklatanten Widerspruch zur österreichischen Verfassung stehen. Wir wollten von den politisch Verantwortlichen eine Markierung einmahnen, daß eben Religion nicht privat ist, sondern öffentlich-rechtlichen Charakter hat. Und das ist von beiden Regierungsparteien ohne den geringsten Hauch von Zweifel bejaht worden. Wir wollten festhalten, daß dem auch weiterhin so ist. Im Hintergrund steht die Verwechslung von privat und persönlich. Religion ist etwas sehr Persönliches, deshalb aber noch lange nicht privat. Das ist genauso wie mit der Ehe, die auch etwas sehr Persönliches ist, aber mitnichten privat, auch nicht nach der Auffassung des Staates.

Mit Monsignore Michael Wilhelm sprach Norbert Stanzet

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