"1001 Nacht" spukt in den Köpfen

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Seit 20 Jahren übersetzt der Schweizer Arabist Hartmut Fähndrich zeitgenössische arabische Literatur. Fähndrich ortet - im Westen wie bei den Muslimen - die Gefahr einer "Überislamisierung". Und: Das Islam-Bild des Westens ist immer noch durch die Vorstellungen der Romantik geprägt.

Die Furche: Sie sind Dozent für Islamwissenschaft. Diese offizielle Bezeichnung mögen Sie nicht. Weshalb?

Hartmut Fähndrich: Weil der Begriff Islamwissenschaft Ausdruck der verkürzten Art ist, wie der Nahe Osten im Westen wahrgenommen wird. Unser Blick auf die arabische Welt erfolgt primär durch die Brille der Religion, wir setzen den Nahen Osten automatisch mit dem Islam gleich und betrachten alle Araber in erster Linie als Muslime. Das finde ich fatal.

Die Furche: Warum?

Fähndrich: Es ist eine Verengung, die der Situation im arabischen Raum nicht gerecht wird. Viele meiner arabischen Freunde bezeichnen und fühlen sich als Araber oder Ägypter und nicht in erster Linie als Muslime. Außerdem sind nicht alle Werte und Verhaltensweisen im arabischen Raum "islamisch", sondern auch durch Tradition, Politik und soziale Situation bedingt.

Die Furche: Die Vorstellung des Islam als eines homogenen Blockes...

Fähndrich: ... ist falsch. Dahinter verbirgt sich auch viel diffuse Angst. Der Westen könnte viel unverkrampfter mit Muslimen umgehen, wenn uns bewusst wäre, wie vielfältig und auch zerstritten die islamische Welt ist. Innerhalb des Islams gibt es Fundamentalisten genauso wie liberale Reformer und Menschen, die dem Religiösen distanziert gegenüber stehen.

Die Furche: Auch Atheisten?

Fähndrich: Es gibt Araber, für die Religion keine Rolle spielt und die das im privaten Gespräch auch betonen. Sich öffentlich als Atheist zu bekennen, ist heute in der arabischen Welt noch undenkbar. Der gesellschaftliche Druck, sich zu einer Religion - nicht unbedingt der islamischen - zu bekennen, ist da noch zu stark. Außerdem muss, wer sich atheistisch äußert, auf Grund der in vielen Ländern existierenden Blasphemieartikel auch mit einer gerichtlichen Verurteilung rechnen.

Die Furche: In westlichen Medien kommen arabische Experten kaum zu Wort, Bücher arabischer Autoren erreichen nur geringe Auflagen, während "europäische" Nahost-Bücher zu Bestsellern werden. Woran liegt das?

Fähndrich: Wir haben durch Schulbildung und Kultur eine fixe, aber falsche Vorstellung über Orient und Araber. Unser Nahost-Bild ist bis heute stark durch die europäische Romantik geprägt: Die Welt von "1001 Nacht", die Düfte und Farben, der Harem, der Dolch im Gewand des Arabers als Symbol für seine Hinterhältigkeit - diese Klischees trüben unseren Blick auf die arabische Welt.

Die Furche: Inwiefern?

Fähndrich: Die meisten wollen ihre Vorstellungen und Klischees erfüllt sehen. Ich erinnere an den Skandal um den Autor Gerhard Konzelmann, der als Nahost-Experte für das ZDF arbeitete: Ihm wurde nachgewiesen, dass er für seine Sachbücher ganze Passagen aus "1001 Nacht" einfach abgeschrieben hatte! Seine Bücher aber wurden zu Bestsellern. Die Leute fanden eben ihre lieben Klischees bestätigt.

Die Furche: Gibt es diese Klischees auch im Umgang mit Immigranten?

Fähndrich: Ja. Man glaubt zu wissen, wie diese Menschen funktionieren. Auch hier ist die "Überislamisierung" von Muslimen durch Europäer das Problem. Wir tendieren dazu, für jegliches von unseren Vorstellungen abweichende Verhalten muslimischer Immigranten den Islam verantwortlich zu machen. Die "Überislamisierung" gibt es auch auf muslimischer Seite: Gerade einfachere Muslime tendieren dazu, ihr Verhalten als typisch muslimisch zu legitimieren. Dass dieses abweichende Verhalten verschiedene Ursachen haben kann, wird dabei von beiden Seiten übersehen.

Mit der beidseitigen Überislamisierung werden vor allem die konservativen Tendenzen im Islam als wahrhaftig "islamisch" festgeschrieben. Das bringt den Islam generell in Gefahr, Ablehnung als rückwärtsgerichtete Religion mit für hiesige Verhältnisse unangemessenen Verhaltensformen zu wecken. Häufig werden ja jene Verhaltensweisen als spezifisch islamisch hingestellt, die ihre Herkunft aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Regionen nicht leugnen können. Das schadet jenen liberalen Muslimen, die durchaus froh sind, nicht mehr in der islamischen Welt leben zu müssen, weil sie in Europa ihren Glauben ihren Vorstellungen entsprechend leben können - und nicht wie es der Staat oder die Sozialkontrolle durch die Nachbarn ihnen vorschreibt.

Die Furche: Wo zum Beispiel?

Fähndrich: Etwa bei der Bekleidung: Manche Musliminnen propagieren das Tragen eines Kopftuches als islamische Pflicht, viele gläubige Musliminnen hingegen lehnen das ab, weil für sie Religion nichts mit Bekleidung zu tun hat. Hier haben die Medien die konservative Auslegung, was "islamisch" ist, kritiklos übernommen und schreiben nun vom "islamischen Kopftuch".

Die Furche: Was halten Sie vom viel propagierten Dialog der Religionen?

Fähndrich: Zuerst einmal frage ich mich, wie weit die großen Religionen mit ihrem absoluten Wahrheitsanspruch überhaupt friedensfähig sind und Basis für einen Dialog bilden können. Besteht da nicht die Gefahr, dass es bei einem solchen Dialog letztlich nur um die eigene Selbstbestätigung geht, im Sinne von: Wir haben und sind eben doch etwas besseres als die anderen? Und wie repräsentativ ist ein solcher Dialog der Religionen? Dürfen da auch die Ungläubigen daran teilnehmen und ihre Sicht als eine mögliche Art des Weltverständnisses einbringen? Nur wenn das gewährleistet ist, scheint mir ein solcher Dialog überhaupt relevant.

Ein solcher Dialog kann aber auch positiv wirken, indem dabei scheinbare Parallelen zwischen Christentum und Islam als falsch erkannt werden, was wiederum Missverständnissen vorbeugt: So ist etwa die Verbindung von religiöser und politischer Aktivität in der Moschee für viele Muslime nichts Abwegiges. Auch haben Bibel bzw. Koran in den beiden Religionen nicht denselben Stellenwert. Außer in fundamentalistischen Kreisen glaubt im Christentum niemand mehr daran, dass die Bibel buchstäbliches Wort Gottes ist. Der Koran hingegen wird von den Muslimen als wörtlich inspiriertes Gotteswort verstanden.

Die Furche: Statt einem Dialog der Religionen schlagen Sie einen "Dialog unter Menschen" vor.

Fähndrich: Die Überreligionisierung des Menschen verstellt den Blick auf den Einzelnen. Menschen von heute haben vielfältige Identitäten, viele verschiedene Faktoren prägen unsere Identität - Religion kann einer dieser Faktoren sein, aber sie sollte nicht als zentrales Identifikationsmerkmal verwendet werden. Einen Dialog unter Menschen zu führen hieße dann, dass sich Menschen begegnen würden, die zwar unterschiedliche Vorstellungen haben, was das Religiöse angeht, aber gewisse gemeinsame Erfahrungen und Probleme, die als Basis für Dialog dienen.

Das Gespräch führte Stephan Moser/Kipa.

Kenner des Nahen Ostens und der arabischen Welt

Den hartnäckigen Klischees aus "1001 Nacht" setzt der Arabist Hartmut Fähndrich mit seinen Übersetzungen von zeitgenössischer arabischer Literatur eine authentische Selbstsicht des Nahen Ostens entgegen. Im Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen plädiert er für einen Abbau der beidseitigen "Überislamisierung". "Die Religion ist nämlich nicht der einzige Faktor, der Normen und Verhalten prägt." Viel lieber als einen Dialog der Religionen sähe Fähndrich deshalb einen "Dialog unter Menschen".

Hartmut Fähndrich, 59, übersetzt seit rund 20 Jahren Werke der zeitgenössischen arabischen Literatur ins Deutsche.Im Schweizer Lenos-Verlag betreut er seit 1983 eine eigene Reihe für arabische Literatur. Neben seiner Übersetzer-Tätigkeit arbeitet der aus Deutschland stammende Arabist als Dozent für arabische Sprache, Kultur und Geschichte an der ETH in Zürich und leitet Kulturreisen in den arabischen Raum und die Türkei.

Fähndrich studierte Islamwissenschaften und vergleichende Literaturwissenschaft in

Tübingen und Los Angeles. Er lebt in Bern.

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