Der Mensch ist der Weg der Kirche

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Schon zu Beginn seines Pontifikats deutete Johannes Paul II. an, wo er die Religion auch in der Moderne verortet: ein spannender Balanceakt.

Am Beginn seines Pontifikates verlautete Johannes Paul II. in der Enzyklika "Redemptor hominis“: "Der Mensch ist der Weg der Kirche.“ Nicht der abstrakte "Mensch“, sondern der konkrete, geschichtliche Mensch "in seinem Durst nach Wahrheit, nach dem Guten und Schönen“. Zugleich betont der Papst: "Christus ist der Weg der Kirche.“ Damit stellt sich die alte Frage: Ist "Gott“ oder der "Mensch“ Maß aller Religion (Platon versus Protagoras)? Oder: Gibt es sie - eine "humane Religion“? Und wie sieht sie aus?

Johannes Paul II. deutete eine Antwort an. Eine "humane Religion“ setzt auf gewisse konstante Wesensmerkmale des Menschen, auf den Durst des Menschen nach dem "Wahren“, "Guten“ und "Schönen“, der in der jeweiligen geschichtlichen Situation jeweils anders gestillt werden muss. "Humane Religion“ bleibt dabei aber immer Religion - das heißt, sie ist nicht humanistischer Verein, sondern Tor zur Transzendenz.

Humane Religion - Spurensuche

Humane Religion ist dem "Logos“ verpflichtet, der Vernunft. Das bedeutet zweierlei: Eine Religion, die die Vernunft marginalisiert, die keine "-logie“ (Theo-logie, Buddho-logie etc.) zulässt, ist keine humane Religion. Religion muss sich im Dialog mit den Wissenschaften der kritischen Hinterfragung ihrer Positionen aussetzen und kann nur "abgeklärt“ durch Aufklärung hindurch existieren. Auf der anderen Seite muss Religion für alle verständlich bleiben, darf keine esoterische Sprache sprechen, muss ihre Texte je neu für den konkreten Menschen von heute in dessen Sprache übersetzen.

Eine humane Religion muss dem Menschen der jeweiligen geschichtlichen Situation ein Ethos bereitstellen im ursprünglichen Sinn des griechischen Wortes - einen "Aufenthaltsort“. Normen und Gebote sind nur der Zaun - innerhalb des Zaunes muss man leben, atmen, sich aufhalten können. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“ Pikuach nefesch - Rettung des Lebens heißt ein altes rabbinisches Prinzip: Gebote sind dazu da, Leben zu ermöglichen, und müssen gebrochen werden, wenn ihre Einhaltung Leben gefährden würde.

Eine Religion, in der es nichts Schönes zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen und zu spüren gibt, ist keine humane Religion. Religion hat nicht nur mit dem Einhalten von bestimmten Geboten zu tun (der unästhetische Wahnsinn schlechthin: Religionsunterricht durch "Ethik“-Unterricht ersetzen zu wollen), sondern auch mit Lebensfreude, Feste feiern, Tanz - mit dem Ergriffensein des ganzen Menschen. Wird ein Bereich des Sinnenwesens "Mensch“ in der Religion unterbelichtet oder zerstört, hört Religion auf, "human“ zu sein.

Humane Religion hat mit der Fähigkeit, sich in den anderen empathisch hineinzuversetzen, zu tun: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (Konzilsdokument "Gaudium et spes“)

Mensch und Gott als Maß

Eine alte Geschichte erzählt: Ein Mann kam mitten in der Nacht zu Rabbi Hillel und bat: "Lehre mich die Tora, während ich auf einem Fuß stehe.“ Rabbi Hillel darauf: "Was dir verhasst ist, das tu auch keinem anderen - das ist die ganze Tora.“ Ich würde ergänzen, und der Mann könnte noch immer auf einem Bein stehen: "Höre, Israel, JHWH ist dein Gott und er ist einzig.“ Damit "humane Religion“ Religion bleibt und nicht zu einem humanistischen Verein degradiert, sollte man nämlich die Einleitung zu den Zehn Geboten nicht vergessen: "Ich bin dein Gott, der dich aus Ägypten befreit hat.“ (Ex 20,2)

Der Mensch ist das Maß der Religion - aber genauso ist "Gott“ Maß der Religion. Ein spannender Balanceakt!

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