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Digital In Arbeit

DIE INDUSTRIALISIERUNG

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Notwendig für das wirtschaftliche Wachstum und den Fortschritt der Menschen ist die Industrialisierung, Zeichen und teilweise Ursache der Entwicklung. Durch die zähe Anwendung seiner Intelligenz und seiner Arbeit entreißt der Mensch Schritt um Schritt der Natur ihre Geheimnisse, zieht aus ihren Reichtümern größeren Nutzen. Indem er sein Verhalten in Zucht nimmt, entwickelt er in sich den Geschmack am Forschen und Erfinden, das Ja zum berechneten Risiko, die Kühnheit im Unternehmen, die großzügige Initiative und den Sinn für Verantwortung.

Zum Unglück hat sich mit diesen neuen Formen des Lebens ein System verbunden, das den Profit als den eigentlichen Motor des wirtschaftlichen Fortschritts betrachtet, den Wettbewerb als das oberste Gesetz der Wirtschaft, das Eigentum an den Produktionsgütern als ein absolutes Recht, ohne Schranken, ohne entsprechende Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber. Dieser unigehemmte Liberalismus führte zu jener Diktatur, die Pius XII. mit Recht als die Ursache des „internationalen Kapitalismus der Hochfinanz28“ brandmarkte. Man kann diesen Mißbrauch nicht scharf genug verurteilen. Noch einmal sei feierlich daran erinnert, daß die Wirtschaft im Dienst des Menschen steht27. Aber wenn es auch wahr ist, daß eine gewisse Form des Kapitalismus die Quelle von vielen Übeln ist, von Ungerechtigkeiten und brudermörderischen Kämpfen, deren Folgen heute noch zu spüren sind, so würde man doch zu Unrecht der Industrialisierung als solcher die Übel ankreiden, die mit dem verderblichen System in ihrer Begleitung verbunden sind. Es ist im Gegenteil der unersetzbare Beitrag anzuerkennen, den die Organisierung der Arbeit und der industrielle Fortschritt zur Entwicklung geleistet haben.

Und ebenso bleibt es wahr, daß die Arbeit, mag sie auch hie und da einer verstiegenen Mystik unterliegen, von Gott gewollt und gesegnet ist. Nach dem Bilde Gottes geschaffen, „muß der Mensch mit dem Schöpfer an der Vollendung der Schöpfung mitarbeiten und die Welt mit dem Siegel seines Geistes prägen, den er selbst empfangen hat“28. Gott, der den Menschen mit Verstand, Phantasie, Einfühlungsvermögen ausgestattet hat, hat ihm auch die Mittel gegeben, irgendwie sein Werk zu vollenden. Ob Künstler oder Handwerker, ob Unternehmer, Arbeiter oder Bauer, jeder, der arbeitet, ist schöpferisch tätig. Beschäftigung mit einer widerspenstigen Materie, prägt er ihr sein Siegel auf und gewinnt so Zähigkeit, Scharfsinn und Erfindungsgabe. Ja, gemeinsame, in Hoffnung, Mühen, Streben und Freude geteilte Arbeit eint den Willen, bringt die Geister einander näher und verbindet die Herzen: im gemeinsamen Werk entdecken sich die Menschen als Brüder29.

Aber sie hat ihre zwei Seiten: sie verspricht Geld, Vergnügen, Macht, sie lädt die einen zum Egoismus ein, die anderen zur Revolte; aber sie entwickelt auch. Berufsethos, Pflichtbewußtsein und Nächstenliebe. Je wissenschaftlicher und besser sie organisiert wird, um so eher kann sie den Menschen entmenschlichen, versklaven. Die Arbeit ist nur dann menschlich, wenn sie der Intelligenz und der Freiheit Platz läßt. Johannes XXIII. hat an die dringende Aufgabe erinnert, dem Arbeiter seine Würde zu geben, ihn wirklich am gemeinsamen Werk teilnehmen zu lassen: „Man muß darnach streben, daß die Unternehmen eine Gemeinschaft von Personen werden, was die gegenseitigen Beziehungen, die Betriebsarbeit und die Stellung der ganzen Belegschaft angeht30.“ Die Mühen der Menschen haben für den Christen noch einen weiteren Sinn: mitzuarbeiten an der Schaffung der übernatürlichen Welt81, die noch nicht vollendet ist, bis wir alle zusammen den vollkommenen Menschen bilden, von dem der heilige Paulus spricht und der die „Fülle Christi“ darstellt32.

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