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Geschichte ohne Propaganda

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Es ist das Verdienst Karl vor Cornides', die Veröffentlichung dei „Grundfragen der europäischen Geschichte“ veranlaßt zu haben, ir denen sich Stadtmüller bemüht, ein« Revision der europäischen Geschichtsschreibung dadurch herbeizuführen, daß das Schwergewicb nicht allein auf Westeuropa, sonderr in gleichem Maße auch auf den Osten ruht. Die aus den Jahren 1931 bis 1960 stammenden Abhandlunger betrachten Europas Geschichte als Problem, den Weg zur Spaltung vor 1054 in eine West- und Ostkirche Südosteuropa zwischen Byzanz unc Abendland, die Balkanstaaten, das Osmanische Reich am Balkan, Polen Rußland bis 1867 und die Voraussetzungen des Bolschewismus. Ein« Aneinanderreihung von Einzelstudien gibt natürlich kein geschlossenes Bild über Jahrhunderte, sie gestattet auch nicht die kontinuierliche Miteinbeziehung des Habsburger-Reiches, vielleicht auch deshalb, weil es dessen Los war, zwischen Ost und West zu stehen, keinem der kontinentalen Randgebiete ganz zuzu-gehören, mit beiden aber vielfach verzahnt gewesen zu sein. Seine Geschichte steht jedenfalls räumlich gleichbedeutend neben jener von Rußland, der Türkei, Polen und des Balkans.

Den Österreicher werden die Kapitel über Bismarcks Polenpolitik, die andere Wege ging als Wien, und jene über Rußlands „Rückzug“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „aus seiner weltumspannenden Machtstellung“ interessieren. Der Autor stellt fest, daß nach dem Krimkrieg nicht bloß Österreich, sondern ebenso auch Preußen von Rußland der „Undankbarkeit“ geziehen wurde, daß sich Wilhelm II. 1886 von einem russischen General sagen lassen mußte, Deutschland habe am Berliner Kongreß die Freundschaft mit Rußland zerstört, daß sodann die Abneigung Petersburgs gegen Berlin bis 1914 bestehen blieb. Hier sollten jene Österreicher aufhorchen, die noch immer an eine andere, antiquierte Geschichtsprägung glauben. Stadtmüllers Standpunkt als Geschichtsschreiber sei wiedergegeben: Geschichte sei keine Propaganda; eine europäische Geschichte, die die „einzelnen Volksgeschichten zu nivellieren oder gar auszulöschen bemüht ist“, sei falsch; die abendländische Geschichte müsse Geschichte in Völkern sein bei „Ablehnung eines wurzellosen Kosmopolitismus“. Im 20. Jahrhundert müsse die europäische Geschichte „ein Kernstück der allgemeinen Menschheitsgeschichte“ werden. Damit ist gesagt, daß diese Menschheitsgeschichte bis 1900 mehr ein Nebeneinander der Einzelgeschichten war.

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