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Unsere Sozialversicherung:

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„Österreich ist nicht die Summe aller Länder, Städte und Dörfer, die , in der Verwaltung des Hauses Österreich stehen, Österreich ist vielmehr eine über alldem stehende Idee, die sich immer mehr verwirklicht.“

Als Richard Kralik diesen Satz in der Einleitung seines im Jahre 1913 heraus- gejebenen Werkes „Österreichs Geschichte“ prägte, sah er nodi um sich den mächtigen Kaiserstaat, ahnte nicht der prophetischen Worte Bedeuten. Eine leidvolle Geschichte mußte erst diese Erkenntnis reifen und die österreichische Idee zu jenem Fluidum verdichten lassen, das heute wie ein Herzschlag die große Völkerfamilie Europas durchpulst. Ob diese österreichische Idee durch psychogene oder intellektuelle Werte genährt wird, ob sie aus einer großen historisdien Tradition geboren ist oder ob sie einer geographischen Mission entspricht, sei hier nicht untersucht, Tatsache ist, daß Österreich überall dort, wo das Herz zum Menschen spricht, unwillkürlich Rang und Namen gewinnt. So beherrscht diese Idee nicht allein Kunst und Ästhetik, sondern durchgeistigt auch die gesellschaftliche Auffassung vom Staat und ihre Auswirkung auf den Ausgleich der innerpolitischen sozialen Verhältnisse. In ihrem Lichte erscheinen daher auch Sozialpolitik und Sozialversicherung nicht etwa als ein wirtschaftlicher Ausgleich gesellschaftlicher Notstände, vielmehr als Erfüllung der Forderung der sittlichen Gemeinsamkeit des Staatswesens und der höheren Solidarität seiner Glieder, welche ethische Auffassung der österreichischen Sozialversicherung eine besondere Formung und vör allem in dem Ausbau der Angestelltenversicherung auch einen besonderen Inhalt gegeben hat.

Wie nach jedem Kriege, beschäftigen auch heute wieder die Fragen der sozialen Gesetzgebung fast alle Staaten der Erde, einerlei, ob Sieger oder Besiegte, ob wirtschaftlich starke oder wirtschaftlich sdi vache Länder, auf der ganzen Welt sehen wir sozialpolitische Bestrebungen soziale Kämpfe, Veränderungen der sozialen Gesetzgebung überall in den verschiedensten Formen und überall in der gleichen Überzeugung, daß in der Lösung der sozialen Probleme und in der Ausgestaltung der sozialen Gesetzgebung die sichersten Grundlagen des Friedens innerhalb der Völker und zwischen den Völkern gegeben sind Trotz der gleichen Zielsetzung wird es aber niemals eine einheitliche Weltschablone geben, jedes Land wird nach seiner Art und nach seiner Auffassung die soziale Gesetzgebung gestalten und damit die sozialen Spannungen im Land überwinden.

„Rien n’eclaire davantage la psychologie et les tendances des peuples que leur legislation sociale“, sagt Brigadegeneral Cherriere im Vorwort zu der vcm Hauptkommissariat der französischen Republik in Österreich im Oktober 1947 herausgegebenen französischen Übersetzung des österreichischen Sozialversicherungs-Überleitungsgesetzes, sieht also in der sozialen Gesetzgebung geradezu den Seelen spiegel eines Volkes, darüber hinaus aber in seinen weiteren Ausführungen auch den Angelpunkt, engere kulturelle

Bande zwischen den einzelnen Staaten zu knüpfen. Trotz aller Gemeinsa m- keitder sozialen Probleme wird es daher immer eine eigene

Sozialpolitik und eine österreichische Sozialversicherung geben. Dieser Wahrheit versdiloß sich das Hitlerregime bei der Annexion Österreichs und verfiel in den Aberglauben, daß mit der Vereinheitlichung des Territoriums unbedingt auch die Vereinheitlichung allen Rechts, also auch der sozialen Gesetzgebung, verbunden sein muß. Mit Gewalt wurde auf das österreidiische Gebilde der Sozialversicherung die deutsche Form aufgetürmt und, wo die deutsch Schablone nicht paßte, Fl ick werk eingesetzt und so ein Monstrum aufgezogen, das schließlidi weder österreichisch, noch deutsch war und ein undurchdringliches, unübersehbares Rechtskonglomerat bildete. Aber selbst in diesem Rechtskonglomerat ist das österreichische Gedankengut doch wieder langsam zum Durchbruch gekommen, hat sogar die deutsche Sozialversicherungsgesetzgebung in ihrer weiteren Entwicklung befruchtet und damit klar bewiesen, daß Österreichs Sozialversicherung bei aller Anerkennung der deutschen Sozialversicherung tonangebend ist. In dieser Vermengung von deutschem und österreichischem Sozialversicherungsrecht war es zuletzt schwer, zu unterscheiden, ob man von einem verbesserten österreichisch-deutschen oder von einem versdilechterten dcutsch-österreichi- schen Sozialversicherungsrecht sprechen soll.

Als im April 1945 Österreich wieder zu Leben erwachte, war der Gedanke naheliegend, die gewaltsam aufgepreßte deutsche Form von der österreichischen Sozialversicherung wieder abzuschütteln und das unvermischt altösterreichische Sozialversicherungsrecht wieder herzustellen. So verlockend dieser Gedanke auf den ersten Augenblick auch an mutete, konnte er ebensowenig verwirklicht werden, wie der, sowohl in Fach- wie in Laienkreisen begreiflicherweise lautgewordene Wunsdi, die Sozialversicherung in einenl einzigen Gesetzgebungsakt vollständig neu zu regeln. Eines ist aber allen klar: Die österreichische So zialversicherung muß wieder österreichisch werden. Die Vorbereitung und Ausarbeitung eines solchen neuen öscerreichisdiei Sozialversicherungsrechtes erfordert allerdings sorgsame Vorarbeit, um aus dem jetzt bestehenden unübersichtlichen Rechtsgemenge zunächst herauszuschälen, was österreichischer Herkunft und österreichisches Gedankengut ist. Diese Aufgabe gilt vor allem für die A n- gestellten Versicherung, weil hier am meisten altes österreichisches Recht und deutsdies Rccht eng ineinander verflochten sind und nicht nur objektives Recht vorstellen, sondern erworbene subjektive Rechte der Versicherten repräsentieren. Gerade bei der Angestelltenversicherung zeigt sich die große Unterschiedlichkeit der deutschen und der österreichischen Auffassung, die schon aus dem Zustandekommen dieser beiden Versicherungen, aus ihren Motiven und aus ihrer Formulierung deutlich hervorgehen. Dieses österreichische Bild der Angestelltenversicherung gleichsam aus der Struktur des ganzen Aufbaus der gesdiichtlidien Entwicklung und der wirt- sdiaftlichen Dynamik klar herauszuzeichncn und damit das feste Fundament für den Bau des neuen Sozialversicherungsrechtes zu schaffen, ist das Verdienst des Verfassers in seiner jüngsten Arbeit, der eben erschienenen Schrift „Die Angestelltenversicherung “ von Dr. Fl a n s S c h m i t z. In Verfolg des geschichtlichen Werdeganges veranschaulicht diese Arbeit die einzelnen Phasen der Angestelltcnversicherung und ihre grundbegriffliche Gliederung, aber auch das derzeit noch wirksame Rechtsgebiet der . alten österreichischen Sozialversicherung. Die ganze sorgfältig unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Rechtsquellen und literarischen Behelfe durchgeführte Arbeit gliedert sich in sechs Absdmitte. Unter anderem wird im dritten Abschnitt klar das noch geltende österreichische Recht und seine Auswirkung an Hand von Beispielen aufgezeigt. Selbst die sdiwierigen Begriffe des Anrechnungs- Zeitraumes und der Kombination der Bemessungsgrundlagen werden hier in praktischen Beispielen vorgeführt und auch dem Nichtfachmann verständlich gemacht.

Das Werk bildet einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der österreichischen Sozialversicherung und einen Rechtsbehelf über die gegenwärtig geltenden Bestimmungen der Angestell tenversicherung für den Fachmann. Diese Vorarbeit wird der künftigen Legislative den Weg zur Schaffung einer neuen österreichischen Sozialversicherung ebnen.

Die AngestelltenVersicherung, Erster Teil, Pensionsversicherung, Angestellten versidierung,

Gewerbliche Sozialversichrung, Einführungsver- ordnung, von Dr. Hans Schmitz, Manzschc Verlagsbuchhandlung, Wien. S 22.—.

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