Mitglieder einer universalen Familie

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Maja Smrekars Preis bei der Ars Electronica ist umstritten. Doch ihr Blick auf Mensch und Tier ist prophetisch. Ein Gastkommentar.

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Maja Smrekars Preis bei der Ars Electronica ist umstritten. Doch ihr Blick auf Mensch und Tier ist prophetisch. Ein Gastkommentar.

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Für ihre Werkreihe K-9_topology erhält die slowenische Künstlerin Maja Smrekar beim Prix Ars Electronica 2017 die Goldene Nica in der Kategorie Hybrid Art. Diese Preisverleihung hat Aufsehen erregt und ist nicht unwidersprochen geblieben. Um jedoch ausgewogen und begründet urteilen zu können, bedarf es eines genaueren Blicks auf das preisgekrönte Werk.

Das Projekt K-9_topology umfasst vier Teile: In Ecce Canis (2014) wird das sogenannte "Glückshormon", der Neurotransmitter Serotonin der Künstlerin und ihres Hundes Byron zu einem einzigen Duftstoff vermischt und so eine glückliche Beziehung zwischen Mensch und Hund symbolisiert. Die Performance I Hunt Nature And Culture Hunts Me (2014), in der die Künstlerin, halbnackt in einem Käfig liegend, von drei Wölfen beschnuppert und erkundet wird, macht nicht nur die Beziehung zwischen Wolf und Mensch zum Thema, sondern fragt auch nach einer angemessenen Tierethik. Im Projekt Hybrid Family (2015/16) gibt die Künstlerin einer Hündin an ihrer Mutterbrust zu trinken. Die Hündin gibt ihrerseits einem weiteren Hund Milch. So wird das Thema der Mutterschaft und des Nährens über die Grenzen einer einzelnen Spezies hinweg sichtbar gemacht. Im vierten Projekt ARTE_ mis (2016/17) wird in eine Eizelle der Künstlerin eine somatische Zelle ihres Hundes injiziert - ein Bild für die enge biologische Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier.

Christliche Schöpfungsspiritualität

Das Projekt vermittelt eine gerade im christlichen Kontext sehr zentrale Botschaft: Alle Geschöpfe dieser Erde sind eine Familie. Nicht die Tiere haben das vergessen, sondern der Mensch, der Tiere bis zum Äußersten ausbeutet und ökonomisch verwertet. Alle Geschöpfe dieser Erde sind Geschwister des Menschen - das sagt schon Franz von Assisi, der nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern sogar Gestirne und Elemente als seine Schwestern und Brüder anspricht. Ihm folgend bekundet Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato si' von 2015 seine Überzeugung, "dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt". (LS 89) "Wenn [ ] das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen."(LS 92) Die Botschaft des Projekts K-9_topology hat also tiefe Wurzeln in der christlichen Schöpfungsspiritualität ebenso wie in der Schöpfungsspiritualität der meisten anderen Religionen.

Warum gibt es dann Diskussionen um die Prämierung des Projekts mit der Goldenen Nica? Offenkundig scheint manchen fraglich, ob nicht die Mittel, mit denen die Botschaft verkündet wird, zu weit gehen. Denn, so sagt es das alte Sprichwort, der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Nun dürften die ersten beiden Projekte bezüglich der Wahl der Mittel keinerlei Probleme machen. Das dritte Projekt, in dem ein Hund an der Brust der Künstlerin trinkt, wirkt schon eher provokativ. Genau besehen nähren sich Mensch und Tier allerdings immer wechselseitig: Der Mensch isst die Eier und Körper von Tieren; umgekehrt fressen Würmer den menschlichen Leichnam. Der Mensch trinkt Milch von Schaf, Ziege, Kuh, und im Falle der römischen Legende sogar von einer Wölfin - in diesem letzten Fall sogar direkt an deren Brust.

Anliegen von Papst Franziskus

Insofern ist es nur eine von vielen Möglichkeiten der künstlerischen Weiterführung, wenn Maja Smrekar im Projekt Hybrid Family nunmehr umgekehrt einen Hund mit menschlicher Muttermilch säugt. Damit stellt sie eine enorme Intimität her, weil der Hund an ihrer Brust und nicht am Milchfläschchen saugt - und das mag auf manche Betrachter befremdlich, ja abstoßend wirken. Aber nüchtern betrachtet ist die Beziehung zu ihrem Hund für viele Menschen sehr intim, oft enger und tiefer als zu jedem Menschen. Und das drücken die betreffenden Menschen und Hunde sehr wohl körperlich aus. Was auf den ersten Blick befremdlich wirkt, öffnet also auf den zweiten eine tiefe und wahre Einsicht und macht eine weit verbreitete Realität deutlich.

Das vierte Projekt ARTE_mis scheint bioethische Probleme zu erzeugen, weil eine menschliche Eizelle verwendet wird. Die weibliche Eizelle ist allerdings als solche keine entwicklungsfähige Zelle im Sinne von §1 (3) des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes und besitzt daher für sich genommen (analog zu einer männlichen Samenzelle) keine Schutzwürdigkeit. Zudem ist aus ihrer Vermischung mit einer Hundezelle im Projekt von Maja Smrekar kein entwicklungsfähiges Gebilde entstanden, das seinerseits schützenswert wäre. Dennoch werden viele Betrachter spontan entrüstet reagieren, weil sie vom Umgang mit einer Eizelle besondere Sorgfalt erwarten. Vermutlich teilt die Künstlerin diese Erwartung sogar und ist mit ihrer eigenen Eizelle sorgsam umgegangen -auch wenn sie bewusst einen anderen Eindruck erwecken und provozieren will. Denn erst durch den scheinbaren Tabubruch kann sie darauf aufmerksam machen, wie schizophren der Mensch seine Sorgfalt verteilt: Solange es um Menschen geht, fordert er höchste Achtsamkeit. Sobald es aber um (Nutz-)Tiere geht, tendiert seine Achtsamkeit gegen Null. Die Würde des Menschen wird allenthalben beschworen, die Würde der Tiere hingegen in Frage gestellt oder geleugnet.

Diesen garstigen Graben in unserer Wahrnehmung von Menschen und Tieren nicht hinzunehmen, ist das Anliegen von Maja Smrekar. Sie teilt ihn mit vielen Menschen, zu denen auch Papst Franziskus gehört. Dass sie als Künstlerin ihren eigenen Körper ins Spiel bringt, ist mutig, aber nicht neu. Schon im alten Israel waren Propheten wie Hosea bereit, unter drastischem Einsatz ihres Körpers die Botschaft zu verkünden, von der sie durch und durch überzeugt waren. Ihre Provokation hallt bis heute nach.

Der Autor ist Prof. für Moraltheologie an der Kath. Privatuni Linz

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