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Aufruf an die österreichische Intelligenz
Zwischen Formulierungen eines brillanten Redners, die in bestimmten und oft einmaligen Situationen eine über den sachlichen Inhalt hinausgehende Annähme rinden, und dem schriftlichen Niederschlag solcher Reden besteht oft ein bedenklicher Qualitätsunterschied. Die Ursache ist meist das Ubergewicht der beim Vortrag verwendeten rhetorischen, optischen und akustischen Instrumente, die in der schriftlichen Wiedergabe des Gesagten fehlen.
Unser Land hat nur wenige Redner vom Format des ehemaligen Unterrichtsministers und jetzigen stellvertretenden Stadtoberhauptes von Wien, Heinrich Drimmel. Gleichsam um die Gültigkeit der Aussagen Drimmels jenseits ihrer „Erstproduktion“ zu beweisen, legt der Herold-Verlag zehn der bedeutsamsten Reden des Vizebürgermeisters in Buchform vor. Die publizierten Reden, bei denen Heinrich Drimmel jeweils mit einem kritischen Publikum oder mit politischen Gegnern konfrontiert worden ist, sind insgesamt als „Reden wider den Geist“ klassifiziert. Nun ist nicht „Geist“ an sich gemeint, sondern eigentlich ein „herrschender“, zeitgebundener Un-Geist, der eine Attacke durch den Redner provoziert hat, ein Un-Geist, der verschiedene Darstellungsformen hat, als gefährlichste jene, die ein geistiges „Dekorum“ besitzen.
Stets ist es ein Geist von gestern, sind es als „konservativ“ markierte Rechtfertigungsideologien, deren Bezüge entweder vorweg falsch oder auf eine abgestorbene Vergangenheit gerichtet sind. Mit einem wesentlichen Teil von ihnen setzt sich Drimmel in Reden zwischen 1959 und 1964 auseinander, die nun vorgelegt werden.
In einer der publizierten Reden wird die Konsumgesellschaft so weit angegriffen, als sie sich als Anzeiger einer entarteten Wohlfahrtsgesellschaft ausweist. Die Indizes eines Fehlverhaltens auf einen falsch interpretierten Überfluß sind eine eigenartige Konsumnot im Sinn eines Unvermögens, das durch Existenzbedürfnisse nicht gebundene Einkommen sinnvoll zu gebrauchen. Der Mensch, In einem besonderen Sinn „nachfrageschwach“, ist auf diese Weise Instrument der Nachfrage geworden. Der Einkommensbezieher wird in eine funktionelle Abhängigkeit gegenüber den Anbietern der Konsumgüter verbracht.
Die Rede wider die „staatliche Fabrik des neuen Menschen“: Ein alles umsorgender, alle Lebensäußerungen programmierender Staat bemächtigt sich auch der kleinen Gemeinschaften, die er über Gebühr in Disziplin nimmt.
Ob es nun die Rede wider den vermeintlichen Ewigkeitswert „eines transitorischen Zeitalters“ oder gegen die „Dominanz der Reproduktion in der Kunst“ ist, stets klingt in den Reden des Ministers der Anruf an die Intelligenz durch, zu widerstehen, wo sie in Gefahr ist, einem billigen, wenn auch praktikablen Konformismus gegenüber dem Zeitgeist zu erliegen, und sich dagegen vor allem in der Politik zu engagieren, der sie sich in permanenter Unzufriedenheit entzieht, dies, obwohl das Politische heute die Züge akademischer Fertigung trägt.
Aus seiner Grundhaltung heraus, einem dynamischen Konservativismus, greift der Redner vehement die geistige Linke an, zumindest ihren Anspruch, ein Monopol auf das Geistige zu haben, ebenso die Einseitigkeit der Gesellschaftskritik, die nur eine Seite zum Gegenstand ihrer literarisch verkleideten Abwertungen nimmt, nämlich die Rechte, während sie links alles in Ordnung findet und dies zumindest durch Schweigen dokumentiert.
So unverkennbar und bewußt die zehn Reden höchstpersönliches Bekenntnis sind (das keineswegs einen Politiker zum Autor haben müßte), präzis und einseitig, sosehr sind sie doch Ansätze eines allgemeinen Anrufes an österreichische Intelligenz, dem sich auch jene nicht ganz entziehen sollten, die politisch und weltanschaulich eine andere Meinung haben als Heinrich Drimmel.
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