Nicht jede stundenlange PC-Spielorgie ist gleichbedeutend mit einer Internetspielsucht. Bei Online-Rollenspielen erhöht sich aber die Abhängigkeitsgefahr.
Hoax, Clan, Patch und Co: Begriffe wie diese bringen die Neuronen manch älterer Semester zum Glühen. Für Jugendliche gehören solche Ausdrücke zum Allgemeinwissen. Diese Unkenntnis kann bei Erwachsenen Ängste und Unsicherheit erzeugen, vor allem, wenn sie ihre Kinder oder Enkel beobachten, die wie selbstverständlich Opas Computer aufsetzen oder ein Virenprogramm installieren. Auf diese Wissenskluft zwischen den Generationen weist der Sozialarbeiter Bernd Dillinger hin. Er ist Mitarbeiter beim Institut für Onlinesucht, kurz IPOS, das mit seiner Plattform www.onlinesucht.at über die Thematik informieren will und wo sich Betroffene austauschen können. „Kinder und Jugendliche haben, was neue Medien betrifft, oft einen enormen Wissensvorsprung. Das ist anders als in anderen Bereichen, wo Erwachsene die Experten in den verschiedenen Lebenswelten sind“, so der Sozialarbeiter. Seit mehreren Jahren rückt die Suchtthematik, die mit Computerspielen in Verbindung gebracht wird, immer mehr in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit. „Viele Eltern oder Erziehungsberechtigte sind aber teilweise durch die überzeichnenden Medien verunsichert und bringen die Kinder in eine Beratungsstelle, weil sie subjektiv das Gefühl haben, ihr Kind sitzt zu lange vor dem PC. Hier muss man stark differenzieren, ob die Kinder gerade eine exzessive Phase durchlebt, oder ob sie wirklich in eine Internetspielsucht abgerutscht sind.“
Fehlende einheitliche Klassifizierung
Einheitliche Kriterien, die eine Internetspielsucht charakterisieren, gäbe es noch nicht. Das sei ein Problem, denn wenn eine Krankheit noch nicht offiziell in ein Klassifikationssystem eingetragen ist, wird auch keine Therapie von der Krankenkasse bezahlt. „Wir schauen dann von Fall zu Fall, ob auch noch andere psychiatrische Störungen vorliegen“, sagt Dillinger. „Meistens genügt eine ambulante Therapie, ganz selten ist es notwendig, jemanden stationär zu betreuen.“ Die fehlende offizielle Anerkennung dieser substanzungebundenen Sucht bemängelt auch Dominik Batthyány, Leiter der Kontaktstelle CSS (Computerspielsucht und substanzungebundene Süchte), die auf der Sigmund Freud Privatuniversität Wien angesiedelt ist. Gemeinsam mit der Ambulanz für Spielsucht Mainz führte die Uni ein Forschungsprojekt zum Computerspielverhalten bei Wiens Jugendlichen durch. Die Ergebnisse wurden im Juni präsentiert und zeigten, dass zwölf Prozent der 1.061 befragten Schüler ein krankhaftes Spielverhalten aufweisen. „Es ist wichtig, im Bereich der pathologischen Spieler zwischen Missbrauch und Abhängigkeit zu unterscheiden“, sagt Batthyány. Schließlich lasse sich bei 2,7 Prozent der Schüler eine Abhängigkeit feststellen, wobei wiederum 90 Prozent davon männliche Jugendliche seien. Während der Anteil der Mädchen im Bereich des Missbrauchs noch bei 31 Prozent liege, seien es bei der Abhängigkeit nur noch zehn Prozent.
Verzicht auf Panikmache
„Man muss sich bewusst sein, dass bei Online-Rollenspielen ein Suchtpotenzial vorhanden ist. Was wir aber definitiv nicht wollen, ist Hysterie oder Panikmache zu betreiben.“ Eine Präventivmaßnahme sei, die Altersbeschränkungen der Spiele anzuheben und beispielsweise das umstrittene Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ erst ab 16 oder 18 Jahren freizugeben. Zunehmende Bedeutung hätte auch die Medienpädagogik: „Es tut sich sehr viel in diesem Bereich. Die Auseinandersetzung mit Neuen Medien kann neben den Gefahren, die mit dem Computerspielen verbunden sind, auch eine Reihe positiver Aspekte vermitteln.“ Als Orientierungshilfe für empfehlenswerte Spiele versteht sich dabei die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen, kurz: BuPP. Die Stelle bietet Hintergrundinformationen zum Thema „Computerspiele“, prädikatisiert wertvolle Spiele und veröffentlicht diese in einer Datenbank auf der Website http://bupp.at. Mitarbeiterin Karina Fallent betont: „Aufklärung ist uns wichtig.“
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