Der Realität entkommen

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Warum immer mehr Jugendliche zu Drogen greifen und wie sie "Nein" sagen lernen.

Ist die Jugend von heute suchtgefährdeter? Wissenschafter, die sich mit dem Phänomen Sucht auseinander setzen, sowie Therapeuten, die gemeinsam mit suchtkranken Menschen einen Ausweg aus ihrer Abhängigkeit suchen, bejahen diese Frage eindeutig. Aber warum?

Es sei zum einen die wachsende Verfügbarkeit, betont Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg. "Die Kinder haben heute mehr Geld als früher. Sie sind längst Zielgruppe geworden," erklärt der Suchtexperte anlässlich des Symposiums zu "Jugend, Sucht und Kultur", das kürzlich in Wien veranstaltet wurde. "Der Leistungsdruck war vor 15 oder 30 Jahren viel geringer. Heute dreht sich alles nur noch um Leistung, andere Werte spielen kaum noch eine Rolle. Das spüren die Jugendlichen am stärksten."

Druck auf Kinder und Eltern

Die Arbeitsbedingungen seien zudem schwieriger geworden, sagt auch Helmut Hrabec vom Wiener Suchthilfeverein B.A.S.I.S. Die Eltern seien auch unter Druck und dieser würde sich auf die Jugend übertragen. Die jungen Menschen von heute seien auch risikobereiter, Grenzen würden leichter überschritten werden, fügt Hrabec hinzu. Dazu käme ein Erlebnishunger; die Jugendlichen wollten in kürzester Zeit so viel wie möglich erleben, meint sein Kollege Reinhard Kriesche.

Jüngste Studien und Statistiken untermauern die Einschätzung der Experten: Besonders unter Jugendlichen steigt die Zahl von Suchtkranken. Immer früher greifen junge Österreicher zu Nikotin, Alkohol, aber auch zu illegalen Drogen. Mehr als 90 Prozent der 15-Jährigen trinken regelmäßig Alkohol, ein Drittel der 15 bis 16-Jäh-rigen raucht täglich, so nur einige alarmierende Zahlen. Zusätzlich zu den bereits bekannten Suchtproblematiken stellt auch das Internet ein zunehmendes Abhängigkeitspotenzial dar, betont Hubert Poppe. Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie am Anton-Proksch-Institut, der sich besonders mit dem Phänomen Internetsucht auseinander setzt, schätzt die Zahl von Süchtigen in Österreich auf 30.000 bis 60.000. Diese Zahl orientiert sich an einer Studie der Berliner Humboldt Universität und wurde für Österreich hochgerechnet.

"Die virtuelle Welt des Internets bietet viele Anreize", erklärt Poppe die Ursachen. Die Sehnsüchte eines jeden Menschen nach Liebe, Anerkennung, Glück oder Sexualität würden sich in Chatrooms, durch Glückspiele und Erotikkonsum scheinbar erfüllen. Der Suchtgefährdete erlebe in der virtuellen Welt die ideale Identität, die ideale Beziehung, den idealen Kontakt. Das steigere das Selbstbewusstsein, so Poppe. Wenn eine solche Person in der realen Welt zugleich Ablehnung erfahre, würde sich diese immer mehr in das Internet zurückziehen. Ein suchtgefährdender Mechanismus würde sich in Bewegung setzen. "Ich hatte einen Patienten, der eineinhalb Jahre von früh bis spät nur im Internet verbrachte", schildert Poppe seine Erfahrungen mit Internetabhängigen.

Bei Jugendlichen seien die Konsequenzen der Sucht oft dramatischer als bei Erwachsenen, sagt der Experte. Die schulische und oft dann auch die gesamte berufliche Laufbahn würden gefährdet, wobei in der Gruppe der 14 bis 18-Jährigen Buben weitaus stärker betroffen sind als Mädchen. Besonders Online-Computerspiele seien hier das Problem. In der Gruppe ab 18 Jahren sind Frauen ähnlich internetsuchtgefährdet wie Männer.

Das Internet als Droge

Wie nun aber ein süchtiges Verhalten von noch normalem aber häufigem Gebrauch des Internets abgrenzen? Hubert Poppe weist auf klare Kriterien hin, die allgemein "Sucht" definieren. Er warnt ebenso wie andere Experten davor, die Gesellschaft zu "versüchteln". Mit dem Begriff "Handy-Sucht" will Poppe ähnlich wie sein Kollege Musalek noch vorsichtig umgehen. "Eine Inflation des Begriffs führt zur Verharmlosung der Suchtkrankheit", sagt Musalek gegenüber der Furche.

Die diagnostischen Kriterien für Sucht schildert Poppe anhand der Internetabhängigkeit: Das Denken der Person richtet sich nur mehr auf das Internet. Es kommt zu einem Kontrollverlust. Meist kommt es zur ständigen Steigerung der Nutzung. Es treten zunehmend negative Konsequenzen auf, angefangen von körperlichen Schäden bis zur zunehmenden sozialen Isolierung. Hier zeigt sich oft ein Dilemma bei der Selbsterkenntnis: Das Umfeld des Süchtigen sagt: Du bist isoliert, du sitzt nur mehr vor dem Bildschirm. Der Süchtige fühlt sich aber nicht isoliert, meint er doch zahlreiche Kontakte im Netz zu haben. Weiters treten Entzugssymptome auf, und der Betroffene ist unfähig, sein Verhalten zu ändern. Der Weg zu einer professionellen Hilfe, um aus der Sucht zu entkommen, ist dann aber meist noch lang.

Bei der Prävention von Internetsucht richtet sich Poppe vor allem an die Eltern. Diese müssten genau schauen, was ihre Kinder online tun würden. Es gehe nicht um ein totales Verbot, es gehe darum, dass in der Familie Alternativen zum Onlinekonsum angeboten würden. "Da sind die Eltern gefordert." Es sei natürlich eine Gratwanderung für die Erwachsenen, den Jugendlichen genügend Freiraum aber auch Schutzraum zu bieten, sagt Poppe. Verbote lehnen Experten klar ab. In Bezug auf die aktuelle Debatte um Rauchverbote meint Musalek: "Da würden Menschen kriminalisiert, die sonst nicht kriminell wären."

Risikokompetenz stärken

Therapeuten weisen darauf hin, dass Prävention nicht zu früh angesetzt werden kann. Das Sebstbewusstsein eines Kindes soll gestärkt werden, er oder sie soll lernen, Nein zu sagen und mit Suchtgefahren umzugehen.

Neben dieser so genannten "Risikokompetenz" gehe es auch um das Vorleben durch die Eltern, betont Hubert Poppe. In punkto Prävention könne nie genug getan werden, sagt auch Hrabec vom Suchthilfeverein B.A.S.I.S. (siehe unten stehender Artikel). Hrabec arbeitet viel in Schulen, um die Konflikt-und Kommunikationsfähigkeiten der Kinder zu stärken. Ein innovativer Ansatz ist das so genannte Peer-Training ("Peer" als Gruppe von Gleichen). Einzelne Jugendliche werden speziell geschult, um ihre Freunde und Cliquenmitglieder positiv zu beeinflussen.

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