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Der Schatten aus London
Die jüngst erfolgte Konstituierung eines „Tschechischen Nationalausschusses“ in London könnte als eine bedeutungslose Aktion einiger degradierter Offiziere, abgetaner Politiker und enteigneter Industrieller bezeichnet werden, wären nicht Anzeichen dafür sichtbar, daß es sich nicht nur um eine Tischgesellschaft beiseite geschobener Ehr-geizlinge, sondern um die Sammlung ernstzunehmender nationalistischer und konservativer Elemente handelt. Die Namen des „Schuhkönigs“ Bafa und des, zu so trauriger Berühmtheit gelangten Generals Lev Prchala wurden in diesem Zusammenhang schon genannt. Nun hört man aber, daß sich unter den Beteiligten auch Vladimir Lezak-Borin, der Stellvertreter Prchalas, Dr. Karel Locher, der schon früher eine Rolle in der national-demokratischen Jugend gespielt hat, sowie der bekannte Prof. Dr. Stamslar Nikohni befindet, der gleichfalls aus dem Lager des bedeutenden, im ersten Weltkriege zum Tode verurteilten jungtschechischen Führers Dr. Kramaf kommt. Soll der Zusammenschluß dieser Männer aus vier tschechischen Rechtsparteien etwa den Auftakt für eine große Tätigkeit der nationalbäuerlichen Opposition in der Tschechoslowakei bedeuten? Man kann nicht achtlos an den politischen Kräfteverhältnissen vorbeigehen, wie sie bis zum Untergang der Republik in den Märztagen 1939 bestanden haben. Damals verfügten die heute in der Tschechoslowakei erlaubten sieben Parteien über 117 von 300 Kammersitzen; ihnen standen die heute verbotenen Agrarier, Nationaldemokraten, Gewerbeparteiler, Faschisten und die slowakischen katholischen Volksparteiler mit insgesamt 104 Abgeordneten gegenüber; die Deutschen und Ungarn hatten 79 Vertreter im Parlament. Mit der formalen Ausschaltung der tschechischen und slowakischen Rechtsparteien sind diese Parteien aber nicht ausgelöscht — denn man kann schwerlich erwarten, daß etwa der traditionelle Kern der Agrarpartei, die seit 1924 die „Staatspartei“ schlechthin war, nun ein Nichts geworden wäre. Das gleiche gilt von der Slowakischen Volkspartei Hlinkas, die in der Slowakei stark verankert war. Die katholischen Slowaken sind heute ohne Vertretung und die Unnatürlichkeit dieses Zustandes haben auch Beurteiler vermerkt, denen man weder eine Sympathie für den Katholizismus noch für den TraditionaHsmus nachsagen kann. Aber auch sonstige Erscheinungen versetzen die politische Magnetnadel in Unruhe. Die jüngsten Studentendemonstrationen gegen die Brünner kommunistische „Rovnost“, die Antwort der Arbeiter, die auf die Straße gingen und sogar die Schließung der Hochschulen forderten, waren der Anlaß für ausgedehnte Pressedebatten, die dem zum ersten Male in so scharfer Weise zutage getretenen Gegensatz der marxistischen und konservativ-nationalistischen Anschauungen galten. Auffallend war 'aber, daß in der Presse nicht von diesen weltanschaulichen Gegensätzen gesprochen wurde, sondern sie zu einer Streitfrage der manuellen und geistigen Arbeiter gemacht wurden. Alles scheint darauf hinzuweisen, daß die politische Entwicklung in der Tschechoslowakei noch nicht zu einem festen Ruhepunkt gelangt ist.
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