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Nur Ferienlandschaften?

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Aber, wie immer man die Dinge sieht, sicher ist, daß die Sozialisten einerseits und die Wiener Zentralbürokratie anderseits (nach F. Er- macora besteht „der Bund” überhaupt nur aus etwa 300.000 Bundesbeamten) wirklich keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, um die zentralen. Kompetenzen auszuweiten oder im zentralistischen Sinhe auszulegen. Die Bundesländer sind ihnen — Z vergröbert. gesprochen nur Landschaften, um dort Ferien zu machen, allenfalls daraus Abgaben einzuholen (Vorarlberg hat, nebst Wien, die höchste Einkommensteuer-Kopf-Quote Österreichs) oder ertragbringend Kapitalien zu investieren. Nun gibt es Länder, in denen der Föderalismus wirklich lebendig ist, jener Föderalismus, der in der christlichen Gesellschaftslehre mit ihrem Subsidiaritätsprinzip wurzelt, wonach die kleineren Gemeinschaften alle jene Aufgaben im Dienste des Bonum commune besorgen sollen, die sie besorgen können, während die ihre Kräfte übersteigenden Aufgaben von der größeren Gemeinschaft wahrzunehmen sind. Der Heimatgedanke spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es ist zu begrüßen, daß sich die Sozialisten auch nach unten hin immer mehr „verbürgerlichen” (das Wort ist denkbar schief) und also ebenfalls beginnen, „Heimat” zu empfinden und nicht nur „Staat”, soweit ihnen (meist nur im Bereich großstädtischer „Population flot- tante”) der Heimatbegriff abgehen sollte.

Angesichts des ständigen Benagens der föderalistischen Grundstruktur Österreichs, ob es nun zu Recht oder zu Unrecht den Sozialisten zugeschrieben wird, sollte alles getan werden, um diesen föderalen Gedanken nicht unnötig zu kränken. Eine solche Kränkung erblickte man in Vorarlberg in der Ablehnung der Benennung eines Bodenseeschiffes mit dem hier gewünschten „Vorarlberg”. („Taufe” für solch einen Akt zu sagen, grenzt an Blasphemie; nur spürt es unsere laisierte Welt von heute nicht.) Daß man sich über solche Fragen unserer Sozialstruktur noch politisch zu ereifern vermag, ist eigentlich ein gutes Zeichen für die österreichische Demokratie. In Frankreich und Italien streikt und demonstriert man nur noch für mehr Lohn oder sonstige materielle Dinge. Diesen Pluspunkt kann man auf beide Streitteile in gleicher Weise verteilen.

„Karl Renner” als Symbol

Der Verkehrsminister und — wenn sie schon vorher hinter ihm stand (hinterher mußte sie es wohl) — die SPÖ waren sehr schlecht beraten, als sie nach gründlicher Kenntnisnahme, daß nur ein auf Vorarlberg hinweisender Schiffsname in Vorarlberg gutgeheißen würde, einen anderen Namen festsetzten. Es ist dies etwa so, wie wenn das Unterrichtsministerium ein Bundesgymriasium in Floridsdorf als Ignaz-Seipel-Gymnasium gegen den Willen .der dortigen Bevölkerung “durchsetzen wollte (mit solchem Willen wäre es vielleicht eine schöne Geste). Mit den Symbo-1 len ist es etwas Eigenartiges. Wer um das Wesen geschichtlicher Krisen (gat nicht im Sinne Ortega y Gasset’s, sondern rein geschichtsphilosophisch) weiß, stößt immer wieder auf die geheimnisvolle Macht der Symbole. Bisher hatte der Name Karl Renner auch den Nichtsozialisten in Vorarlberg als der Name eines großen Humanisten und guten Österreichers gegolten, wie man übrigens zu seinen Lebzeiten auch Dr. Theodor Körner hier sehr achtete und jetzt Dr. Adolf Schärf schätzt, weil in ihnen der österrei chische Staat repräsentiert wird und sie ihn würdig verkörpern bzw. verkörperten. Bei Karl Renner kam seine unstreitig große humanitäre und geistige Bedeutung hinzu. Man hätte gar nicht des posthum aufgefundenen und eben im Europa-Verlag publizierten Buches von Karl Renner „Nation, Mythos und Wirklichkeit” bedurft, um der geistigen Größe Renners und seiner österreichischen Wesensart innezuwerden. Leider wurde Dr. Karl Renner dadurch, daß man seinen Namen in bewußten Gegensatz zu „Vorarlberg” stellte, von diesem Podest gestoßen und zu einem Symbol gemacht, dem Symbol zentralistischer Machtergreifung” in- geschichtlich gewordenen Regionen tifid’ Gerhetnschafteil’. ‘Und einige’ Außbrüngeri ausjzentralb®o- Tcratisäiehi’ “Munde maif’“glaubt noch immer allzu häufig, Kultur und geistige Ausgewogenheit gebe es nur in Wien und zur Festspielzeit in Salzburg, im übrigen lebten aber in den Alpen nur wilde Bergbewohner — verstärkten diesen Eindruck.

So wurde den einen „Karl Renner” zum Symbol der legitimen zentralen Macht (daß die Eignerin, die ÖBB, das Schiff so benennen konnte und durfte, liegt auf der Hand), auf der anderen Seite zum Symbol einer gewiß nicht beabsichtigten, aber nun einmal so empfundenen Unterdrückung und Majorisierung. Wo man sich auf Symbole und deren Schutz oder deren Bekämpfung versteift, werden schnell Glaubensartikel daraus, wie man heuer ja im Berner Nordjura anläßlich der sehr ähnlich verlaufenen Demonstration von Les Rangiers in einem so friedvoll wie Vorarlberg geltenden Land mit Staunen beobachten konnte. Nur so ist es erklärbar, daß an der Demonstration, zu der vielgestaltig ermuntert worden war, auch tatsächlich so viele Personen teilnahmen (rund ein Fünftel der Wahlberechtigten, was schon plebiszitären Charakter hat).

Bedenkliche Mißinterpretationen

Gerade ein Symbol stand aber nicht zu Streit: die Fahne Österreichs. (Insofern muß auch dem Ver fasser des „Furche”-Querschnitts in der Ausgabe vom 28. November eine kleine Korrektur widerfahren.) Das wurde nämlich amtlich festgestellt und die parteipolitisch gezielten Klitterungen in der „Austria-Wochenschau” vermochten nur im gesprochenen Begleittext, nicht aber im Bild so etwas an die Öffentlichkeit zu tragen. Das erscheint wesentlich. Denn leicht könnten die Symbole des Vaterlandes in den Streit gezerrt werden und das wäre dann auf lange hin nicht mehr gutzumachen. Wer die österreichische Grundhaltung der Föderalisten in Zweifel zieht, leistet weder der Wahrheit noch Österreich einen guten Dienst.

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