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PAUL LÜCKE /VATER OER GROSSEN KOALITION
Als Ende November 1966 in Bonn die Würfel endgültig zugunsten der „großen Koalition“ fielen, durften vor allem zwei Männer die schwarzrote Einigung als Erfolg langjähriger, meist stiller und bis zuletzt nur wenig bedankter Bemühungen auf ihr Konto buchen. Der eine war Herbert Wehner, jetzt Minister für gesamtdeutsche Fragen, der andere der beiden „Väter der Koalition“ war Paul Lücke, Erhards letzter und Kiesingers erster Innenminister.
1914, einige Monate nach Kriegsausbruch, wurde Paul Lücke in Schöneborn im Oberbergischen Kreis in der Nähe von Köln geboren. Lückes Vater war Steinbrucharbeiter, die Zahl der Geschwister des jungen Paul betrug nicht weniger als dreizehn. Acht Jahre Dorfschule, dann Schlosserlehre — das waren die ersten Lebensstationen Lückes. Als Lehrling war er Jugendführer beim Katholischen Jungmännerverband und in der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg. 1933 rissen ihm die Braunhemden vor dem Kölner Dom die Pfadfinder-uniform gewaltsam vom Leibe. Zu diesem Zeitpunkt hatte der begabte Arbeitersohn bereits die Höhere Technische Lehranstalt in Berlin als Maschineningenieur abgeschlossen.
Den Krieg machte Lücke sechs Jahre mit, der Verlust eines Beines war Hitlers Denkzettel an ihn. 1945 rief ihn die Politik In ihren harten Fron. Das Ahlener Programm der CDU, in den ersten Jahren von Adenauers Partei groß herausgestellt, bald jedoch in den Hintergrund gedrängt, fand in Paul Lücke einen seiner Hauptvertreter. Die Sozialpolitik, auf der der Schwerpunkt dieses Programmes lag, blieb lange Jahre Lückes Tätigkeitsgebiet. Seit 1949 gehört er ohne Unterbrechung dem Bundestag an, in seinem Wahlkreis immer direkt, nie über die Landesliste gewählt. 1957 holte Adenauer den profilierten Sozialpolitiker als Wohnbauminister ins Kabinett. Spätestens 1962 war er in der Bundesregierung zu einer Schlüsselfigur geworden: Gemeinsam mit dem CSU-Abgeordneten Gut-tenberg verhandelte er mit Herbert Wehner über die Bildung einer neuen Regierungsmehrheit. Doch es war vier Jahre zu früh.
Seit 1962 war Lücke der Hauptvertreter einer Richtung in der CDU, die in einer großen Koalition auf Zeit die beste Möglichkeit zur Lösung der dringendsten Fragen der deutschen Politik sahen. Doch er beschränkte sich nicht darauf, einfach für eine Koalition mit der SPD zu sein. In seinem Schreibtisch lagen bereits die Pläne für eine deutsche Wahlrechtsreform, die zum strukturell wichtigsten Programmpunkt der großen Koalition werden sollte.
Unter Erhard zum Innenminister geworden, hatte Lücke die komplexe Notstandsfrage zu betreiben. Viel besser als seinen Vorgängern Schröder und Höcherl gelang es ihm, in dieser Frage mit der Opposition ins Gespräch zu kommen. Vielleicht spielte bei dieser Klimaverbesserung auch Lückes überzeugend energisches Auftreten gegen den wieder Morgenluft witternden Rechtsextremismus eine Rolle.
Ende 1966 war es dann so weit. Kiesinger und Brandt konnten die von Lücke und Wehner erkämpfte Koalition aus der Taufe heben. Paul Lücke und die große Koalition — beide haben sich wohl einen Vertrauensvorschuß verdient, besonders aus österreichischer Sicht.
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