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Wirtschaftskommentar

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Wieder einmal hat der österreichische Gewerkschaftsbund seine Stimme für eine wirtschaffspotitische Forderung erhoben, die mit der sanften Einschläferung des Wirt- schafts- und Sozialbeirafes in einem abgetan zu sein schien: Eine „Programmierung" der österreichischen Wirtschaft.

Die Idee der Programmierung, hinter welchem Namen sich die von der linken Reichshälfte an Frankreich — vor de Gaulle — so bewunderte Planlfrkation verbirgt, ist nun nicht gerade neu und gehört zum ständigen Forderungsrepertoire der Sozialistischen Partei, der Arbeifer- kammer und des Gewerkschaftsbundes. Der Begriffsinhalt Ist deswegen noch lange nicht geklärt, und die Interpretationen pendeln von der Koordinierung des wirtschaffspoliti- schen Instrumentariums und der längerfristigen Planung der öffentlichen Ausgaben bis zur direkten Steuerung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit nach gewissen Planzielen. In der Mitte liegt die selektive Invesfi- tionsförderung, und eben 6ie ist es auch, die die Gemüter bisher am heftigsten erhitzte. Wird sie von sozialistischer Seite geradezu als conditio sine qua non einer auch nur einigermaßen sinnvollen Strukturpolitik qualifiziert, well nur auf diese Weise erreicht werden könne, daß tatsächlich auch in jenen Bereichen der Wirtschaft stärker investiert werde, in denen es gesamtwirtschaftlich erwünscht sei, so wird die Programmierung in den offiziellen Stellungnahmen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, des Wirtschaftsbundes und der Industrielienvereinigung regelmäßig als der erste, aber entscheidende Schritt zur totalen Planwirtschaft bezeichnet, und nur den ÖAAB hat bisher in seinen Äußerungen zu diesem Problem im allgemeinen weise Zurückhaltung geübt.

Nun ist zumindest die selektive Investitionsförderung durch steuerliche und kreditpalitische Maßnahmen nicht nur in Frankreich, sondern auch in den nordischen, sozialistisch regierten Staaten Europas schon seit langem fester Bestandteil der Wirt- schaffsverfassung. Daß alle offiziellen Nachrichten die Vorzüge der Programmierung, um nun einmal bei diesem Namen zu bleiben, in mehr oder minder rosigen Farben erscheinen lassen, bedarf keines Kommentars, und so verbleibt dem Außenstehenden im wesentlichen nur die aus den statistischen Daten zu gewinnende Erkenntnis, daß sich die allgemeinen Entwicklungstendenzen der mit der Programmierung arbeitenden Staaten nicht besonders von denen jener Staaten unterscheiden, die mehr auf die Selbststeuerungs- kräffe der Marktwirtschaft vertrauen, und daß im übrigen auch eine nur bescheidene Programmierung der Anzahl und der Qualifikation nach einen Mitarbeiterstab benötigt, der immer nur das Ergebnis langer und umfangreicher, selbst wieder programmierter Schulung sein kann.

Trotzdem verdient der neuerliche

Hinweis auf die Vorzüge der Programmierung besondere Aufmerksamkeit. Dies nicht nur wegen der wirtschaftlichen und ordnungspotitischen Bedeutung der Programmierung als solcher, sondern nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß man hinter einer Reihe von scheinbar zusammenhanglosen wirtschaftspoliti- schen Initiativen, Aktionen und bloßen Tatsachen ein klares, auf Verwirklichung einer ziemlich weitgehenden Form von Programmierung abstellendes Konzept vermuten könnte, das im Einzeltall gar nicht als eigentliches Handlungsmotiv und Fernziel erkannt, dafür aber um so wirksamer wird und auch durch die Ergebnisse der letzten Nationalratswahlen nicht entscheidend behindert wurde.

Daß bei der Schaffung des Wirtschafts- und Sozialbeirafes auf der einen Seite von vornherein daran gedacht war, hier die Keimzelle eines künftigen Wirtschaftslenkungsinstru- mentes zu schaffen, hat sich ja mittlerweile herumgesprochen. Aber daneben zeichnen sich Entwicklungen ab, die auf den ersten Blick völlig neutral erscheinen — und auch von so manchen der agilsten

Befürworter nicht anders verstanden werden dürften — die sich aber, in den erwähnten Zusammenhang gestellt, so nahtlos einfügen, daß allein schon deswegen die Frage aktuell wird, wo sich Zufall und Absicht eigentlich scheiden. In diesem engen Rahmen sei nur auf zwei solcher Erscheinungen hingewiesen: Die Währungspolitik der österreichischen Nationalbank hat bisher unter anderem dazu geführt, daß derzeit der österreichische Kreditapparat mehr als zehn Milliarden Schilling zinslose Mindesteinlagen unterhalten muß. Dem steht auf der anderen Seite eine enorme Verknappung der freien Liquidität und damit eine taktische Erschöpfung des Kredit- und auch des Kapitalangebotes gegenüber — und das in einer Zeit, in der selbst die dringendsten Kapitalbedürfnisse allein etwa der Bundesbahnen, der Verstaatlichten Industrie und der Elektrizitätsgesellschaften so hoch sind wie nie zuvor. Ist es wirklich nur Zufall, daß diese Situation wie geschaffen scheint für die Verwirklichung des alten Benedikt- Kaufsky-Plans, die Mindestreserven, allenfalls gegen geringfügige Verzinsung, nach einem bestimmten Plan zu umfangreichen Finanzierungsvorhaben heranzuziehen? Und wie soll man, wenn der ganze Kredif- apparaf stolz darauf ist, Investitionen zu finanzieren, und zur Deckung des Invesfitionskapitalbedarfs der österreichischen Industrie auch nur in seiner Gesamtheit imstande sein dürfte, die Tatsache bewerten, daß ein bestimmtes einzelnes Institut im Interesse der Investifionsfinanzierung in einer Weise forciert wird, die geradezu auf eine Mediatisierung der Investitionsfinanzierung aller anderen Institute und damit auf eine Zentralisierung der Investitionsfinanzie- rung hinauszulaufen scheint.

Das soll aber nicht heißen, daß deswegen andere Probleme geringer wären. Es ist leichter, in der Theorie Modelle zu entwerfen und quasi Sandkastenspiefe zu betreiben, als in der Praxis voraussehen zu wollen, wie sich der Bedarf der Käufer entwickeln wird. Wieviel Straßen benötigt werden, läßt sich errechnen. In welchem Verhältnis in Zukunft Stahl und Kunststoffe zueinander stehen werden, ist beispielsweise schon wesentlich schwieriger vorauszusehen, und die gesamte österreichische Wirtschaft leidet jetzt noch darunter, daß in den Nachkriegsjahren, als der Wiederaufbau faktisch ja bereits programmiert wurde, bei der Rekonstruktion der Schwerindustrie von Größen ausgegangen wurde, die sich in der Folgezeit als viel zu optimistisch erwiesen haben. Für die Idee der Programmierung noch gefährlicher als die Tatsache, daß damals Entscheidungen getroffen wurden, die sich in der Folge als falsch herausgestellf haben, ist der Umstand, daß die damaligen Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden, und out Grund der damals verfügbaren Unterlagen auch schwerlich hätten anders ausfailen können. Die Voraussicht der Zukunft ist in dieser und in jener Wirtschaftsform unvollkommen, aber in einer programmierten Wirtschaft rächt sie sich an der Allgemeinheit oft viel bitterer.

Für Österreich kommt das delikate Problem hinzu, daß Programmierung zunächst einmal eine schärfere Selbstkontrolle der öffentlichen Hand — im weitesten Sinn — zur Folge hätte. Daß die Sozialisten in ihrem bisher eigenen Bereich, dem der Verstaatlichten Industrie, nie zu einer straffen Koordinierung gefunden haben, läßt etliche Schlußfolgerungen zu.

Die Wachstumsgesetze sind ein Versuch, das Wachstum der österreichischen Wirtschaft zu beschleunigen. Die Programmierung ist ein anderer. Mitunter wird Programmierung sogar als der Mittelweg zwischen Marktwirtschatt und Planwirtschaft bezeichnet. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge und unseres so unvollkommenen Wissens könnte das Prädikat „golden" eher jenem Mittelweg zuerkannt werden, der zwischen Programmierung und freier Marktwirtschaft liegt. Dort muß er aber erst noch gefunden werden.

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