Der Grenznutzen der Flucht

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Das Beispiel Eritrea zeigt, wie die Entwicklungshilfe der Industriestaaten den Falschen helfen kann, wenn sie in blutigen Diktaturen eingesetzt wird.

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Das Beispiel Eritrea zeigt, wie die Entwicklungshilfe der Industriestaaten den Falschen helfen kann, wenn sie in blutigen Diktaturen eingesetzt wird.

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Eritrea ist nach Afghanistan, Syrien und dem Irak das bedeutendste Herkunftsland von Flüchtlingen in Europa. Wer wissen will, wie es wirklich um die Menschenrechte unter der Herrschaft von Präsident Isayas Afewerki bestellt ist, der muss auch gar nicht mehr nach Eritrea reisen. Man braucht nur in Deutschland, Frankreich oder England mit Flüchtlingen zu reden, die von dort geflohen sind, um genug zu wissen. Eritea ist tatsächlich eine negative Ausnahmeerscheinung: was seine Flüchtlingszahlen betrifft, aber auch, was die Auswirkungen angeht, welche die Krise in diesem Land auf die internationale Staatengemeinschaft hat. Und das nicht nur auf der politischen und menschenrechtlichen Ebene, sondern auch auf der ökonomischen.

Das liegt vor allem an den Mechanismen, mit denen der Herrscher seine Untergebenen unter Druck setzt, die teilweise in der Reportage links skizziert wurden.

Sklavenhaltergesellschaft

Denn Eritreas Regime erinnert an antike Sklavenhalterstaaten. Die Armee und die allgemeine Mobilmachung seit Jahrzehnten scheint dafür nur ein Vorwand und eine Ressource zu sein. Kinder und junge Männer werden ab 14 eingezogen, um auf den Grundstücken und Feldern der Generäle zu arbeiten oder in staatlichen Einrichtungen zu dienen.

Ein Bericht der Vereinten Nationen listet massive Menschenrechtsverstöße auf, darunter Vergewaltigung und Nötigung, mehrjährige Haft ohne Gerichtsurteil, massive Anwendung von Folter, die Entführung, Vertreibung oder Ermordung von Gegnern des Regimes - aber auch von zufälligen Opfern. Die Zustände in den als Gefängnisse benutzten Gebäuden, Containern, Erdlöchern sind derart bedrückend, dass die Berichterstatterin der UN, Sheila Keetharuth über die Lage in Eritrea in einem Interview unumwunden protestierte und forderte: "Die Schreckensherrschaft muss aufhören!"

Die internationale Gemeinschaft hat dem Treiben in Eritrea lange untätig zugesehen. Das Ergebnis des mehrjährigen Totschweigens der eritreischen Diktatur hat auch international seine Spuren hinterlassen. Mehr als 350.000 von insgesamt fünf Millionen Einwohnern sind aus dem Land geflohen. Die Eriteer stellen damit die größte Gruppe von afrikanischen Flüchtlingen und damit auch die größte Gruppe jener, die versuchen, nach Europa zu kommen.

Wie man die Diaspora "melkt"

Aber die Diktatur hat sich bis in die Enklaven der geflohenen Eritreer im Ausland vorgearbeitet und setzt Agenten und Büttel seines Systems ein, um Schutzgelder zu erpressen. Mindestens zwei Prozent aller Einkünfte müssen die Asylsuchenden an das Regime abführen, vor dem sie geflohen sind. "Diasporasteuer" wird das genannt. Diese Schutzgelder sichern den Eriteern in der Fremde die Sicherheit ihrer zu Hause gebliebenen Familienmitglieder und auch die Möglichkeit, Besuche in der Heimat wagen zu können.

Damit ergibt sich die absurde Situation, dass Menschen zunächst unterdrückt werden, vor dieser Unterdrückung nach Europa fliehen, dort Unterstützung auch finanzieller Natur erhalten, aber dieses Geld erneut dafür verwenden müssen, die Eliten der Diktatur Afewerkis zu finanzieren. Damit nicht genug: Weil innerhalb der Europäischen Union immer mehr politischer Druck entsteht, die Flüchtlinge in ihren Ursprungsländern zu halten, könnte es nun auch noch neue Geldquellen für den Präsidenten geben.

Die EU-Kommission hat angekündigt, im Rahmen eines Projektes "zur Bekämpfung von Flüchtlingsursachen" umgerechnet 200 Millionen Euro in Eritrea zu investieren. Mit dem Geld solle unter anderem die Stromversorgung angekurbelt werden, meinte der für die Entwicklungshilfe zuständige Kommissar Neven Mimica bei seinem jüngsten Afrikabesuch Ende September. Doch dagegen regt sich nun Widerstand. So meint etwa der deutsche Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich: "Wenn dort Menschenhandel betrieben wird, darf man keine finanziellen Beziehungen aufnehmen." Die EU argumentiert nun, das Regime habe angedeutet, den Militärdienst wieder einschränken zu wollen. Was passiert, wenn diese Zusagen nicht halten, kann die Kommission allerdings nicht sagen.

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