Kein Sachzwang für den Sparzwang

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Die Diskussion ums Nulldefizit stellt ein wirksames Vehikel zur Durchsetzung eines radikalen gesellschaftlichen Wandels dar.

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Die Diskussion ums Nulldefizit stellt ein wirksames Vehikel zur Durchsetzung eines radikalen gesellschaftlichen Wandels dar.

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Die Debatte. Braucht es ein Nulldefizit?

Zum Thema: Faszination der Null. Der Sparkurs der Regierung und das Ziel die Budgetneuverschuldung bis 2002 auf Null zu senken, stößt bei der Bevölkerung auf zunehmende Akzeptanz. Laut einer Studie des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS bejahen 52 Prozent von 1000 befragten Österreichern die Sparmaßnahmen. Und das obwohl noch gar nicht genau feststeht, wer, wieviel und auf welche Weise zur Konsolidierung beitragen muss. "Ein Land, das zuviel Schulden macht, lebt auf Kosten seiner Nachkommen. Ein Land das zuwenig Schulden macht, tut zuwenig für seine Nachkommen", malte hingegen der Ökonom Egon Matzner in einem Gastkommentar für die "Presse" ein differenzierteres Bild über Gefahr und Nutzen öffentlichen Schuldenmachens. Die "Faszination der Null" zu hinterfragen, ist auch das Ziel dieser furche-Debatte. WM Das "Nulldefizit" ist in aller Munde. Sparen, sparen, sparen fordern EU und Bundesregierung in trauter Eintracht und meinen eigentlich "kein Stein darf auf dem anderen bleiben". Der Wohlfahrtsstaat, die große Verirrung der Nachkriegszeit, muss demontiert werden, tönt es aus Brüssel und Wien. Simple Geister starren auf Scheingefechte rund um Sanktionen - vermeintliche und echte. Dabei wird übersehen, wie Romano Prodi und Wolfgang Schüssel am selben Projekt arbeiten, einer gespaltenen Gesellschaft a la Margret Thatchers England.

Die Nulldiskussion um Nulldefizite stellt dabei ein äußerst wirksames Vehikel zur Durchsetzung eines radikalen gesellschaftlichen Wandels dar. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit zu Sparen ist damit derzeit weithin unhinterfragt. Dies ist deshalb möglich, weil der politische Diskurs ums öffentliche Sparen alltagssprachlich bebildert wird: Auch ein Privater könne langfristig nicht mehr ausgeben als einnehmen. Gleichzeitig wird der Begriff des Sparens nicht nur im Sinne einer Reduktion des Budgetdefizits verwendet, sondern mit der geläufigen Verwendung als sparsam, sprich "effizient und ohne zu verschwenden" vermischt. Wer würde da nicht fürs Sparen sein? Vordergründig scheint dies einleuchtend und konkludent.

Eine volkswirtschaftliche Analyse zeigt aber, dass diese Argumentationskette irreführend ist: Während Private nicht ewig Schulden machen können, ist ein staatliches Budgetdefizit langfristig nachhaltig, wenn dieses und der Zinssatz nicht über der Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen. In vielen Fällen, etwa bei der Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele (Wachstum, Beschäftigung), oder zur Finanzierung langfristiger Investitionen, stellt Verschuldung ein effizientes Instrument dar. Diese Tatsachen sind Ökonomen allgemein bekannt. Mit dem Dogma "Nulldefizit" - für das es keine objektiven ökonomischen Kriterien gibt - beraubt man sich jedoch eines wichtigen steuerungspolitischen Instruments. Trotz umstrittener Maastricht-Kriterien gibt es keinen Grund, warum Österreich von heute auf morgen in puncto Budgetdefizit zum Musterschüler werden sollte.

Häufig werden "übermäßige" Sozialleistungen und "Missbrauch" als vermeintliche Ursachen des Defizits angeprangert. Die daraus gefolgerte Konzentration auf die Defizitreduktion durch Kürzung der Ausgaben blendet jedoch aus, dass in Österreich Reiche in Form von Vermögens- und Gewinnsteuern kaum etwas zum Budget beitragen. Derzeit befindet sich Österreich bei einem Aufkommen an Gewinnsteuern von 2,1 Prozent des BIP (EU-Durchschnitt: 3,5) an vorletzter Stelle in der EU. Was Vermögenssteuern betrifft, bildet Österreich mit 0,6 Prozent des BIP (EU-Durchschnitt: 1,8 Prozent) überhaupt das absolute Schlusslicht aller 28 OECD-Staaten.

Trotz seiner ökonomischen Unhaltbarkeit wird der konstruierte Sparzwang als Sachzwang-Argument vorgeschoben und geschickt dazu benützt, den österreichischen Wohlfahrtsstaat nach neo- und sozialliberalen Kriterien radikal umzugestalten. Nebenbei werden ungeliebte Sektoren (Entwicklungshilfe, Zivildienst, universitäre Forschung, ...) mit dem Spar-Argument gezielt ausgehungert. Ebenso wird mit dem Sparzwang-Argument die Einführung von Selbstbehalten und die Forderung nach Treffsicherheit durchgesetzt.

Was mit der Argumentationskette Nulldefizit und Treffsicherheit propagiert wird, ist der Abbau des Wohlfahrtsstaates und die einhergehende Spaltung der Gesellschaft, wie sie etwa unter Margaret Thatcher in Großbritannien erfolgte. Profitieren werden davon nicht die Mittelschicht und ärmere Bevölkerungsgruppen, sondern einige wenige Reiche. Diese sind auf den Wohlfahrtsstaat nicht unbedingt angewiesen und werden durch langfristig weniger Steuern für weniger Wohlfahrtsstaat noch reicher.

Der Autor ist Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung für Stadt- und Regionalentwicklung.

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